Golo Berg/Michael Custodis/ Jürgen Heidrich (Hg.)

Musik für Münster

Die Geschichte des Städtischen Orchesters 1919-2019

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Aschendorff
erschienen in: das Orchester 04/2020 , Seite 64

Zwölf Autoren haben rund zwei Jahre lang Archive gesichtet, Aktenordner gewälzt und im Internet recherchiert. Das Ergebnis steckt nun auf rund 160 Seiten zwischen zwei Buchdeckeln und beschreibt die Geschichte des 1919 gegründeten Sinfonieorchesters Münster, das 2019 ausgiebig seinen 100. Geburtstag gefeiert hat.
Der Band, entstanden am Fachbereich Musikwissenschaft der Universität Münster, ist weit mehr als eine der üblichen Festschriften. Natürlich wird sowohl in den Hauptbeiträgen als auch in den als „Schlaglichter“ bezeichneten kürzeren Texten von Erfolgsgeschichten aus dieser langen Zeit berichtet. Über die bemerkenswerte und in ganz Deutschland wahrgenommene Händel-Renaissance in den 1920er Jahren beispielsweise. Oder über die Ära des Generalmusikdirektors Will Humburg, der von 1992 bis 2004 für atemberaubende Konzerte und Opernaufführungen sorgte, von denen das alteingesessene Publikum noch heute spricht. Wagners Ring des Nibelungen wurde damals zu einem der Höhepunkte seines Wirkens.
Was diese Jubiläumspublikation wirklich spannend und wichtig macht, ist der Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus – bislang ein weitgehend unbeackertes Feld. Georg Ludwig Jochum, Eugen Papst, Hans Rosbaud und Heinz Dressel standen in den Jahren 1932 bis 1951 nacheinander am Pult des Orchesters und lieferten, was die Machthaber von ihnen erwarteten: Gau-Kulturwochen, WagnerFestwochen, „volkstümliche“ Programmgestaltung mit vornehmlich „deutscher“ Musik. Aber offensichtlich in einem Maß, von dem man nicht sagen kann, die Kulturpolitik in Münster hätte die Ideologie der Nazis aktiv, gar eifrig befeuert. Fraglos sind die ab 1940 durchgeführten Freiluftkonzerte als massenwirksame Großveranstaltung zu werten, auch das „deutsch-italienische Musikfest“ 1942, das die „Waffenbrüderschaft“ der beiden totalitären Staaten feierte.
Interessant ist darüber hinaus die Zeit nach 1945. Radikaler Neubeginn? Den gab es in Münster ebenso wenig wie in vielen anderen Orchestern. Heinz Dressel, seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, gehörte nach dem Krieg zu den „Entlasteten“; Hermann Abendroth, während des Faschismus regelmäßig Leiter von NS-Propagandakonzerten, wurde als Gastdirigent nach Münster eingeladen – ebenso Künstler wie Wilhelm Kempff, Elly Ney, Wilhelm Backhaus und Walter Gieseking, die in Nazi-Deutschland erfolgreich an ihrer Karriere „strick-
ten“ und diese nach 1945 fast bruchlos fortführen konnten.
Zentral auch der Hauptbeitrag über Fritz Volbach, den Orchestergründer, der 1919 in Münster sein Konzept realisierte, nicht nur einen gediegenen Klangkörper, sondern auch Bildungseinrichtungen für angehende Profi-Musiker und die breite Masse an Laien zu installieren – und damit erfolgreich war. Weshalb man Volbach seitens der Administration schon nach wenigen Jahren vergrault hat, dieses Geheimnis lüftet der Band Münster für Musik allerdings auch nicht. Es gibt also noch weiteren Forschungsbedarf!
Christoph Schulte im Walde

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