Marion Saxer/Karin Dietrich/ Julian Kämper (Hg.)

Musik als Spiel – Spiel als Musik

Die Integration von Spielplankonzepten in zeitgenössischer Musik, Musiktheater und Klangkunst

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: transcript
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 60

Der Wortsinn von „Spiel“ ist polyvalent wie jener des Wortes „Lachen“, welches nicht immer „lustig“ meint und Spezifizierungen wie verzweifelt, lüstern und sarkastisch beinhalten kann. Karin Dietrich und Julian Kämper widmen diese erkenntnisreiche Publikation dem Andenken ihrer Mitherausgeberin Marion Saxer (1960-2020). Das Buch bezieht sich auf Theorien, performative Ereignisse, Versuchsanordnungen und Computerspiele bzw. künstlerisch modellierte Computeranwendungen. Kommt dann auch noch komponierte, improvisierte, modular angewendete oder andere Musik „ins Spiel“, sind die Grenzen zu den die Musik sprengenden Aktions-, Anwendungs-, Wiedergabe- und Erlebnisräumen fließend.
Schon das hat Aussagekraft für die digitale und multimediale Phänomene einbeziehenden Projektbeschreibungen: Das Wort „Publikum“ für eine aus kollektiver Hauptperspektive erlebende Gemeinschaft wird stellenweise durch „Rezipientinnen und Rezipienten“ ersetzt. Insofern ist das einzige Handicap dieses Bandes das Fehlen eines Schlagwortregisters, da sowohl in den Aufsätzen als auch in den zitierten Projekten ähnliche Phänomene und Verfahren verschieden definiert werden.
Für musikalische Teamplayer dürfte Regine Strätlings theoretisch-historische Einführung über „kulturwissenschaftliche Spielkonzepte mit Blick auf künstlerische Formen und Prozesse“ als generell auf Aufführungssituationen übertragbare Gliederung von Interesse sein. Michel Roth beginnt seine „kleine Studie zur Rolle des Spielverderbers in der neueren Musik“ mit Exempeln: Was passiert, wenn bei Aufführungen etwas Ungewöhnliches geschieht, ein Teamplayer aus dem Geprobten ausbricht oder ausfällt; etwas unvorhergesehen fehlt, was durch Improvisation ohne vorherige Absprache gefüllt wird und beim Publikum auch noch Erfolg hat? Sarah Mauksch beschreibt Erweiterungen von Situationen, in denen Anwesende durch die Aufführungsmotorik in Bewegung gebracht werden, und die in vielen Fällen auch zu Interaktionsprozessen mit Darstellenden und Computeranwendungen einladen oder sogar zwingen.
Auffallend bei fast allen Beiträgen ist, dass Musik in offenen und geschlossenen Spielsituationen zwar oft ein konstituierendes Element zur performativen Gestaltung, aber nurmehr eines von mehreren gleichgewichtigen künstlerischen Mitteln sein soll. Aus der Perspektive von Produzierenden beschreibt die Klangkünstlerin Kirsten Reese, wie sie mit technischen Aufnahmen und Reproduktionen von visuellem und akustischem Material variable Anwendungssituationen entwickelt.
Der Komponist Marko Ciciliani verwendet in einer Beschreibung über die „Analyse gamifizierter audiovisueller Werke“ einen anglikanischen Wortschatz mit Zukunftsfähigkeit für das in diesem Band beschriebene Themenfeld. Alle Aufsätze verheißen erweiterten Spielraum für musikalische und performative Möglichkeiten.
Roland Dippel