Pēteris Vasks
Musica Serena/ Musica Dolorosa/ Musica Appassionata/ Klātbūtne
Anna-Maria Palii (Sopran), Uladzimir Sinkevich (Violoncello), Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Ivan Repušić
Pēteris Vasks zählt zweifellos zu den großen Komponistenpersönlichkeiten der Jetztzeit, die – was erstaunt – fast samt und sonders dem Baltikum entsprossen sind. Ganz so, als seien mit der osteuropäischen Wende erst so recht die Schleusen geöffnet worden: Arvo Pärt, Anti Marguste, Erkki-Sven Tüür, Bronius Kutavičius, Osvaldas Balakauskas und eben Pēteris Vasks!
Wenn wir das Bild vom Öffnen der Schleusen bemühen, so fällt die Musik seiner Musica Appassionata gerade so über den Hörer her, gewaltig, alles mit sich reißend – obwohl hier „nur“ ein Streichorchester am Werk ist. Vasks verschafft sich Gehör auch ohne Wagner-Tuben, gebiert Dramatik auch ohne dumpf grummelnde Pauken. Und das ist kein Zufall. Der Komponist, der sich selbst neben dem Klavier auch an der Violine und dem Kontrabass geübt hat, bekennt seine besondere Liebe für die Streicher. Und das merkt man auch jeder seiner liebevoll, wenn auch in düsteren Farben ausgemalten Kompositionen an.
Zentrales Werk auf der vorliegenden CD ist das zweite, mit Klātbūtne („Präsenz“) überschriebene, fünfsätzige Cellokonzert, das Vasks 2012 für Sol Gabetta komponiert hat. Das Konzert beginnt ungewöhnlicherweise mit einer fast 40(!)-sekündigen Generalpause, bevor aus ihr dann ganz langsam das einsame Cello mit der „Cadenza I“ auftaucht. Insgesamt erinnert Klātbūtne an einige Kompositionen Henryk Góreckis, im zweiten Satz insbesondere an dessen populäre 3. Sinfonie („Sinfonie der Klagelieder“), ohne diese indes zu kopieren.
Uladzimir Sinkevich, seines Zeichens Solocellist beim Münchner Rundfunkorchester, erzeugt mit seinem sanghaften und weichen Spiel in Verbindung mit dem hellen Sopran Anna-Maria Paliis eine hinreißende Polyfonie, die unter die Haut geht. Das Münchner Rundfunkorchester bringt den Kompositionen eine bemerkenswerte Empathie entgegen, die von Ivan Repušić durch sein leidenschaftliches und äußerst transparentes Dirigat unterstrichen wird.
Vasks spricht davon, in seinen Werken zu „predigen“, was bei dem Sohn eines Geistlichen nicht verwundern muss. Aber es ist eine Predigt, spirituell und dennoch griffig, auf den Punkt gebracht, mahnend und vor allem ganz ohne Pathos. Mahnend in dem Sinne, dass Vasks sich (und uns) wünscht, man müsse Zeit finden, „unsere Blicke in die Richtung sternklarer Unendlichkeit zu lenken“ anstelle nach stets Neuem zu gieren.
Das Beiheft ist recht informativ, wenn auch nicht ganz fehlerfrei: Da ist die Rede von der einstigen „sowjetischen Fremdherrschaft“, während der „die lettische Sprache verboten“ gewesen sei. Wäre das der Fall gewesen, hätte sie der Rezensent in den 1970er und 1980er Jahren nicht lernen können… Gleichwohl: Das Kennenlernen dieser ganz besonderen Musik ist ein Muss!
Friedemann Kluge