Musica e Regime

Werke von Zikmund Schul, Witold Lutoslawski, Erwin Schulhoff u.a.

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Novantiqua (www.novantiqua.net)
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 80

Diese CD verwundert auf gleich mehrfache Weise – und sie zeigt auf eindrucksvolle Art, wie sich das scheinbar so fest gefügte Repertoire in den vergangenen drei Jahrzehnten nachhaltig erweitert und verändert hat. Da wäre zunächst die Besetzung des Miniatur-Ensembles zu nennen, bei der sich leicht die Vorstellung dilettierender „Hausmusik“ einstellen könnte: Viola und Violoncello. Eingespielt wurden zudem Werke, die viel zu lange abseits standen (wie auch einige der Komponisten). Und schließlich stammt die hier konzeptionell wie interpretatorisch aktiv gewordene Formation aus der italienischen Toskana – Beleg einer zunehmenden Internationalisierung eines auf der kühlen nördlichen Seite der Alpen entstandenen Werkbestands.
Unter dem Motto „Musica e Regime“ haben Stefano Zanobini und Andrea Landi ein Programm zusammengestellt, das an die wohl dunkelste Seite der (Musik-)Geschichte des 20. Jahrhunderts erinnert – an die Unterdrückung, Vertreibung oder Vernichtung zahlreicher Musiker und Komponisten nach 1933, die so systematisch und nachhaltig erfolgte, dass es eines ganzen halben Jahrhunderts bedurfte, um vielen Namen und Werken überhaupt erst wieder Platz und Gehör zu verschaffen.
Gleichwohl bezieht sich das Motto nur auf die recht unterschiedlichen Biografien der Komponisten, nicht aber auf die eingespielten Werke – dies zeigt auch ein Blick in das von Michele Riccomini künstlerisch bemerkenswert anspruchsvoll gestaltete, hinsichtlich weitergehender Informationen aber geradezu dürftig anmutende Booklet: Zikmund Schul (1916-1944) starb in Theresienstadt, Erwin Schulhoff (1894-1942) jedoch in einem Internierungslager (er war zuletzt russischer Staatsbürger), Bartók, Hindemith und Paul Dessau emigrierten zu unterschiedlicher Zeit aus unterschiedlichen Motiven und Lutoslawski „überwinterte“ als Kaffeehaus-Pianist in Warschau. Mehr noch: die wenigsten der hier eingespielten Werke haben damit etwas zu tun. Schulhoffs Duo (original für Violine und Violoncello) entstand bereits 1925, die fünf Bartók-Nummern stammen aus den 44 Duos für zwei Violinen (1931/32), das Duo (1934) von Hindemith, immerhin eine Originalkomposition, ist ein regelrecht „über Nacht“ entstandenes Gelegenheitswerk. Nur die beiden knappen Chassidischen Tänze von Schul sind als musikalisches Statement zu begreifen.
Diese grundsätzlichen Einwände beziehen sich allerdings nur auf die Konzeption der CD. Davon losgelöst ist die Interpretation zu bewerten – und hier können Zanobini und Landi richtig punkten. Denn sie verstehen es, die per se recht dunklen Farben ihrer aparten Instrumentenkombination mit einer beeindruckenden, nahezu mediterran anmutenden Leichtigkeit im Ton zu verbinden, ohne dabei auch nur ansatzweise oberflächlich zu erscheinen. Eine Gratwanderung mit erstaunlichen Ein- und Aussichten.
Michael Kube