Béla Bartók

Music for Strings, Percussion and Celesta/Divertimento for String Orchestra/Dance Suite

NHK Symphony Orchestra Tokyo, Ltg. Paavo Järvi

Rubrik: CDs
Verlag/Label: RCA Red Seal
erschienen in: das Orchester 07-08/2020 , Seite 70

Um es gleich vorweg zu sagen: Diese Einspielung dreier Werke von Béla Bartók ist ein ungetrübtes Hörvergnügen. Der Live-Mitschnitt eines Konzerts in der Tokioter Suntory Hall vom September 2017 ist von einer Lebendigkeit und Spontaneität, die so manche Studioaufnahme weit übertrifft, und lässt überdies aufnahmetechnisch keine Wünsche offen. Nicht nur Bartóks Musik, aber gerade sie mit ihrer rhythmischen Kraft, ihrer genau ausbalancierten Dramaturgie ständig wechselnder Tempi und ihrer atmosphärisch dichten, zwischen tänzerischer Unbeschwertheit und unheimlicher Nachtstimmung changierenden Klanglichkeit profitiert von einer Interpretation, die ihre Energie aus dem Moment heraus schöpft. Dabei gestaltet der Chefdirigent des NHK Symphony Orchestra Paavo Järvi den Orchestersatz durchaus sehr analytisch und erreicht so eine Transparenz, bei der jede Stimme hörbar bleibt. Dies zeigt sich vor allem im ersten Satz der Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta von 1936, dessen komplexe Kontrapunktik stets filigran klingt. Allenfalls die Steigerung zum dynamischen Höhepunkt kann man sich noch drängender vorstellen. Hier, wie auch in manch anderen Momenten, beispielsweise dem furiosen Accelerando am Schluss des letzten Satzes, wirkt Järvis Dirigat zuweilen kontrolliert, was einerseits der orchestralen Präzision zugute kommt, andererseits aber die gelegentliche Wildheit der Bartók’schen Musik etwas an die Leine legt. Dass sich Järvi speziell in diesem Werk nicht immer sklavisch an die von Bartók in der Partitur akribisch festgelegten Tempo- und Zeitangaben hält und den Entwicklungen Raum gibt, gereicht jedoch dieser Einspielung, die im Adagio des dritten Satzes zu einer wahrlich unter die Haut gehenden Intensität findet, keineswegs zum Nachteil. Ein weiteres Werk vom Ende der 1930erJahre, das Divertimento, kennt man normalerweise in der von Bartók autorisierten Fassung für kleines Kammerorchester. Järvi, angeregt von einzelnen Bemerkungen aus Bartóks Briefen, präsentiert diese Komposition mit dem großen Streicherapparat. Man mag darüber streiten, ob die Durchsichtigkeit einer kleinen Besetzung der zumeist spielerischen Heiterkeit dieser Musik angemessener ist. Auf der anderen Seite lässt das große Format den am Concerto grosso orientierten Gegensatz von Solo und Tutti in den Rahmensätzen noch deutlicher hervortreten und steigert die Düsterkeit des Mittelsatzes zum beklemmenden Menetekel kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Beide Werke umrahmen die selten gespielte Tanz-Suite von 1923, die Bartók zum 50. Jahrestag des Zusammenschlusses der vormals selbständigen Städte Buda, Pest und Óbuda zur Hauptstadt Budapest schrieb. Dieses mitreißende und farbige Werk, in dem Bartók unterschiedliche folkloristische Idiome aus Südosteuropa und Vorderasien anklingen lässt, kann gerade heute als optimistisches Manifest einer „Verbrüderung der Völker“ gehört werden, als welches es Bartók verstand.
Klaus Angermann