Werke von Ravi Shankar, Astor Piazzolla, Tōru Takemitsu und anderen

Music for Flute and Guitar

Duo Mattick Etschmann

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 9/2022 , Seite 70

In sehr ruhigem Tempo, auffallend sparsam gesetzt, fließt der Song „Barbara Allen“ melancholisch dahin. Seit dem 17. Jahrhundert in England bekannt, möglicherweise schottischen Ursprungs, fand das Lied seinen Weg in die USA und wurde dort beliebt. Flötist Christian Mattick und Gitarrist Thomas Etschmann stellten „Barbara Allen“ an den Anfang ihrer neuen CD, auf der Shankar neben Piazzolla steht und die dazu To¯ru Takemitsu, Robert Beaser und Heitor Villa-Lobos vereint. Das zweisprachige Booklet erklärt in der Überschrift des ersten Texts selbstbewusst: „Asia and America in musical dialogue. Building bridges between continents and cultures.“
Die Mountain Songs (1985) des Nordamerikaners Robert Beaser sind hier mit „Barbara Allen“, „The House Carpenter“, „Hush You Bye“ und „Cindy“ vertreten – Musik des 20. Jahrhunderts, tonal und ohne sogenannte moderne Spieltechniken, Gitarre und Flöte als homogenes Paar, schwelgend in delikatem Wohlklang. Beide Instrumente klingen in jedem Ton sehr warm und voll – der Tonmeister dieser CD hatte hörbar Freude am Sound. Die Gitarre klingt, als säße man, klitzeklein gezaubert, mitten im Korpus des Instruments, während die Mik­ros der Flöte immerhin eine winzige Spur Raumakustik zugestehen.
Sitar-Virtuose Ravi Shankar, seinerzeit weltweiter Botschafter der klassischen indischen Musik, ist hier als Komponist mit L’aube enchantée sur le Raga „Todi“ zu hören. Flöte und Gitarre schwelgen in schönen Klängen, aber es bleibt sehr westlich – zum einen schickt Shankar die Instrumente nicht durch die kleineren indischen Tonschritte und subtilen Umspielungen, zum anderen spielen beide Musiker herrlich stabile westeuropäische Töne. Hörenswert ist es trotzdem.
Musikalisch ganz zuhause sind Flöte und Gitarre wieder in Villa-Lobos’ Bachiana Brasileira Nr. 5 (Aria). Dabei übernimmt die Flöte den Part des Soprans, die Gitarre ersetzt das Cello – Villa-Lobos selbst hat dieses Arrangement erstellt. Mattick und Etschmann spielen jeden schönen Vorhalt, jede Phrase genüsslich aus, genießen die scheinbar spontane Farbigkeit der Melodik und unterhalten auf hohem Niveau.
To¯ru Takemitsu schrieb bekanntlich neue Musik in typischer neuer Tonsprache. Mattick und Etsch­mann gefallen in Toward the Sea und lassen beispielsweise die Flatterzunge der Altflöte kraftvoll zur sportlichen Gitarre schnarren. Auch scheint die Tontechnik hier der Flöte mehr Raum zu geben, was den Hörgenuss steigert. Die Sätze perlen gekonnt und voller Musizierfreude hervor und der dritte Satz („Cape Cod“) lockt mit atmosphärisch dichtem Spiel.
Direkt danach führt Piazzolla ins „Bordell 1900“ – in seiner Histoire du Tango. Das „Café 1930“, der „Nightclub 1960“ und das „Concert d’Aujourd’hui“(so die weiteren Satztitel) folgen und zeigen Mattick und Etschmann als eingespieltes, sicheres Duo mit Gespür für Klangschönheiten.
Musikalische Brücken schlagen – eine sehr gute Idee. Aber gibt es für Musiker:innen überhaupt trennende Schluchten und Berührungsängste Fremden gegenüber?
Heike Eickhoff