Carola Bebermeier, Clemens Kreutzfeldt, Melanie Unseld (Hg.)
Music Across the Ocean
Kulturelle Mobilität im transatlantischen Raum 1800–1950
Der Atlantik trennt zwar, wurde aber musikalisch schon immer überquert. Daher war der Ansatz des Forschungsprojekts „Musical Crossroads“ von 2019 bis 2022 groß geplant. Das abschließende Symposium fiel dann der Pandemie zum Opfer und soll nun durch den Sammelband ersetzt werden. Der Atlantik wird als wechselseitiger „Handlungs- und Kommunikationsraum“ betrachtet und nach klingenden Kontaktzonen gefragt. So umreißt Melanie Unseld das Umfeld von Antonio Salieris und Friedrich Treitschkes Oper Die Neger um 1800 in Wien. Den eurozentristischen Opernhorizont erweitert Axel Körner: Verdis zunächst wegen der Zensur in die britischen Kolonien verlegter Ballo in Maschera wurde seit 1859 erfolgreich und deshalb weiterhin meist mit dem Ballett Bianchi e neri kombiniert – einer Adaption von Harriet Beecher-Stowes Onkel Toms Hütte durch Giuseppe Rota.
Benjamin Brittens US-Kontakt-und-Kompositions-Aufenthalt untersucht Susanne Rode-Breymann. Dazu bildet der „wienerische Lunchroom“ der geflüchteten Klavierpädagogin Edith Schreiner, in dem dann 1939–41 auch klassisch europäisch musiziert wurde, einen amüsant vorstellbaren, oft aber existentiell „Not-wendigen“ Kontrast. Die für das US-Orchesterwesen einflussreichen Musikernetzwerke untersucht Joanne Cormac. Diesbezügliche Versuche Wilhelm Furtwänglers zu einer singulären Star-Karriere zwischen den Polen Toscanini und Bernstein, also von 1925 bis zu seinem Tod 1954, zeigen unerfreuliche Monomanie-Züge.
Aus den rund 300 Seiten herausgegriffene Themen-Stichpunkte wie „Triangulationsidee Karibik-USA-Europa“, „Transatlantische Praktiken in New Orleans“, das auch durch Europa tourende Frauen-Trompetencorps „Biseras“ oder die „Tiroler Nationalsänger“ in den USA signalisieren: Der ganze Band ist eine Fundgrube an Aspekten, zwischen Beethoven-Fest 1856, Antebellum-Blüten in New Orleans oder Boston, zwischen divergierender Liszt-Interpretation oder der eher problematischen „Rainer Family“. All das kann durch den reichen Fußnoten- und Literaturapparat vertieft werden. Mal unterhaltsam, meist bereichernd.
Wolf-Dieter Peter