Marco Frei

München: Tödliche Dreierbeziehung

Das Münchner Rundfunkorchester bietet Zemlinskys „Florentinische Tragödie“ konzertant

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 59

Vor rund 20 Jahren wurde im Bayerischen Rundfunk die Debatte geführt, ob man nicht das Münchner Rundfunkorchester auflösen und mit dem BR-Symphonieorchester fusionieren sollte. Ein Proteststurm fegte die Pläne hinweg. In bewegten Zeiten von Pandemie, Krieg und steigendem Druck auf die Öffentlich-Rechtlichen ist diese Debatte wieder virulent.
Beim 2. Sonntagskonzert des Münchner Rundfunkorchesters im Münchner Prinzregententheater zeigte sich indessen einmal mehr, dass dieser Klangkörper aus der Orchestermetropole München nicht wegzudenken ist: sowohl programmatisch als auch interpretatorisch. Gerade mit konzertanten Aufführungen seltener Opern hat sich das Orchester ein vielgelobtes Profil erspielt, so wie jetzt mit dem Einakter Eine florentinische Tragödie von Alexander Zemlinsky.
Unter seinem jungen Ersten Gastdirigenten Patrick Hahn hat das Rundfunkorchester farbenreiche Zauberklänge entfacht. Diese 1915 entstandene und 1917 in Stuttgart uraufgeführte Kurzoper geht auf das gleichnamige Dramenfragment von Oscar Wilde zurück. Es geht um den Textilhändler Simone aus Florenz. Nach einer Dienstreise ertappt Simone seine Frau Bianca in flagranti mit Guido Bardi. Das Brisante: Er ist der Sohn des mächtigen Herzogs von Florenz. Guido kniet gerade vor Bianca und hält ihre Hände, als Simone das Zimmer betritt. Es folgt eine Auseinandersetzung, die sich zusehends zu einem veritablen Opernkrimi verdichtet. Noch bleiben die Andeutungen subtil – der Standesunterschied erlaubt es Simone zunächst nicht, den Sohn des Herzogs offen zur Rede zu stellen.
So gibt Simone vor, den Besuch von Guido in seinem Haus als geschäftlichen Termin zu deuten. In der Folge präsentiert er dem adligen Besucher diverse aufwendige, teure Gewänder. Guido bietet seinerseits Simone an, bei Dienstreisen auf Bianca aufzupassen: damit sie nicht so alleine sei. Als Guido ihn zudem fragt, ob er ihm auch Bianca anbieten würde, tut Simone auch dies als einen Scherz ab. In seinem Inneren kocht und grollt es aber.
Die Eskalation beginnt, als Simone mitbekommt, dass Bianca ihm den Tod wünscht. Der Tod habe nur dort etwas zu suchen, wo die Ehe gebrochen werde, so Simone. Jetzt ist die Katze aus dem Sack, das finale Duell vorgezeichnet. Für Guido endet es tödlich. Allerdings bringt ihn Simone nicht mit dem Schwert um, sondern kniet auf dessen Brust und erwürgt ihn. Die Oper endet absurd: Bianca entdeckt die Stärke ihres Mannes und Simone die Schönheit seiner Frau.
Die Musik ist eine bühnenwirksame Mischung aus Expressionismus und Spätromantik: Richard Strauss und Gustav Mahler, gewürzt mit einem Schuss Verklärte Nacht von Arnold Schönberg. Bei der konzertanten Aufführung des Münchner Rundfunkorchesters blieb die Bühne stets präsent, weil Hahn einen fesselnden Klangrausch entfachte. Das hatte Schwung und lyrischen Schmelz, Verve und eine ungeheure dramatische Energie, ohne den Stimmen den Raum zur Entfaltung zu rauben.
Mit dem unheilvoll verdüsterten Bariton von Christopher Maltman als Simone und dem hellen, strahlend klaren Tenor von Benjamin Bruns als Guido wurde ein infernalischer Thriller hörbar; im Zentrum der dunkel gefärbte Mezzosopran von Rachael Wilson als Bianca. In der ersten Hälfte des Konzerts gab es eine Einführung mit Hahn und dem MRO, die live Werkausschnitte gaben: eine tolle Idee. Ein CD-Mitschnitt wird folgen, gut so.