Wolf-Dieter Peter

München: Spielt fort, unbedingt!

Im Münchner Prinzregententheater wurden 25 Jahre Studiengang Musical triumphal gefeiert

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 51

Die Nase vorn – das war vor 25 Jahren mit August Everding so und jetzt mit einer deutschen Erstaufführung. Was die Theaterakademie sowie die Hochschule für Musik und Theater da in 25 Jahren aufgebaut haben, wurde mit Standing Ovations gefeiert.
Die Lehrgangsanfänge waren zäh – nach dem Motto: „Das können nur das Londoner Westend und der Broadway“. Dies wurde gekonnt und amüsant widerlegt. Derzeit bereitet eher Mühen, diese vielfältige, oft sehr individuelle Ausbildung in Gesangs-, Spiel-, Sprech- und Tanztechniken in Bachelor- und Master-Studiengänge mit Scheinen und Credit Points zu pressen. Doch davon auf der Bühne keine Spur: temperamentvoll überbordende Spiellust!
Als hinter dem großen Mond-Rund im Zent­rum der Bühne die ersten Keyboard-Töne (And­reas Kowalewitz) des Musicals Twelfth Night – eine Adaption von Shakespeares’ Was ihr wollt – erklangen und dann die sechsköpfige Band einsetzte, war der „mood“ der berühmten Eröffnungssätze „Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter!“ schon getroffen – und dann swingte und fetzte es und die 23 Musiknummern der jungen US-Amerikanerin Shaina Taub erwiesen sich als treffende Umsetzung und Unterfütterung der turbulenten „Wer bin ich?“-Komödie.
Natürlich waren an der Musical-Adaption noch eine Reihe Profis beteiligt, doch der deutschen Fassung von Robin Kulisch ist etwas Besonderes zu attestieren: Da „fegen“ die Songs passend zum Emotionswirbel der Figuren über die Bühne, bis es treffend zu den erschreckend echten Gefühlen ein Innehalten gibt; denn der metier-erfahrene Regisseur Stefan Huber führt seine Protagonist:innen zu sehr differenzierter Sprechtext-Behandlung. Man hatte die romantisierende Schlegel-Tieck-Übersetzung gewählt – und deren Poesie und Feinheit kontrastiert immer wieder anrührend hörbar zum aktionsreichen Loslegen. Das gelang sogar im Premierenfieber und gab den pausenlosen zwei Stunden theatralische Spannweite und humane Tiefe – tutti bravi!
Shakespeare hat ein utopisches Illyrien imagi­niert. Harald B. Thor hat dies mit eckigen schieb-, fahr- und rollbaren Treppenteilen, Wänden und über den Orchestergraben herausragenden Stegen ganz in die Fantasie des Publikums verlegt – und das Ensemble hatte umherschiebend kräftig zu tun. Noch mehr zuvor die zehn (!) Bachelor-Maskenbildner:innen: staunenswert fantastische Masken für alle und herrlich irr-wirrer Kostüm-Zauber von Tanja Hofmann – so könnten die berüh­m­ten Schwabinger Künstlerfeste ausgesehen haben!
Herrlich aktuell: verquer ohne Queerness-Moden, denn Shakespeares Bühnenrealität, in der ja junge Männer alle Frauenrollen spielen mussten, grüßte ironisch herein. Stellvertretend für alle rollendeckend besetzten Solist:innen führte das die Brasilianerin Roberta Monção mit ihrer fein wandlungsfähigen Zartheit beeindruckend vor: Als schiffbrüchige Viola zieht sie sich eben Hosen an und wird als „Cesario“ nun von Herzog Orsino (mit blendender Bühnenerscheinung, überragend Johannes Summer) als Vertrauter angenommen, doch bei der Umarmung fühlt sie plötzlich als Frau. Ihnen allen gelang eine kunterbunt unterhaltsame Theater-Reflexion über Songs wie Was für ein Mann willst du selber sein? oder Ich will sein wie Du – eben über die unbesiegbare Liebe, die statt aller Konventionen bewirkt, dass man den anderen Mit anderen Augen sieht. Ein überbordendes Theaterfest zum 25-jährigen Bestehen des Studiengangs – und ein strahlender Beginn der Akademie-Präsidentschaft von Barbara Gronau als erster Frau in dieser Position.