Budday, Wolfgang

Mozarts Ausbildung zum Komponisten (1761-1765)

Periodenbau und Taktordung in Menuett, Sonate und Sinfonie, Bd. I: Textband / Bd. II: Notenband

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms, Hildesheim 2016
erschienen in: das Orchester 12/2016 , Seite 58

Mozart, der Götterliebling, dem alles zuflog und der nur niederschreiben musste, was ihm die Engel diktierten: Klischees gibt es viele und wissenschaftliche Untersuchungen auch, doch wirkliche Erklärungen für die Frage, woher diese Genialität – schon im Kindesalter – kommt, sind rar. Denn bei allen Phänomenen des Gesamtwerks liegt doch das größte Geheimnis in den allerersten Stücken des Fünf- bis Achtjährigen.
Wolfgang Budday, der sich seit den frühen 1980er Jahren mit Form und Inhalten der musikalischen Klassik befasst hat, widmet sich dem Thema der kompositorischen Anfänge Mozarts in seiner jetzigen Publikation aus einem neuen Blickwinkel und fasst zugleich seine vorherigen Forschungen zusammen. Dabei spielt ein grundlegender Perspektivenwechsel die entscheidende Rolle, denn für den Autor ist es wichtig, „das Musikwerk aus der Sicht des Komponisten zu verstehen… Der Weg zum Komponisten führt letztlich nur über dessen Epoche und über die in ihr gedachten und angewandten Begriffe – Interpretationen aus der Sicht des Analysierenden müssen genauso ausgeschlossen werden wie Interpretationen und Vorstellungen irgendwelcher anderer Epochen“.
Arbeiten, die seit Erscheinen des Notenbuchs der Schwester „Nannerl“ in der Neuen Mozart-Ausgabe vor mehr als 30 Jahren publiziert wurden, unterzieht der Autor unter dieser Prämisse eines kritischen Blicks, denn viele gehen in ihrem analytischen Ansatz von Methoden und Begriffen aus, die erst im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt wurden. Sie wenden etwa die „klassischen Ideale“ des Periodenbaus auf Werke an, die geschaffen wurden, als diese „Ideale“ allenfalls im Entstehen waren. Budday nun legt seiner Analyse nur das zugrunde, was in der Zeit um 1760 an strukturellen Formmodellen bereits beschrieben worden war: Die wichtigsten Quellen sind Joseph Riepels Anfangsgründe der musicalischen Setzkunst (1752) und Grundregeln zur Tonordnung insgemein (1755) sowie die Violinschule und die Eigenkompositionen von Vater Leopold (Sonaten 1759 bis 1763). Diese Publikationen ergeben zusammen mit jenen Stücken, die verschiedene Autoren in das Notenbuch für Nannerl eintrugen, die Grundlage, auf welcher der junge Mozart seine ersten  Klaviererfahrungen mit kleinen Formen (Menuett, Rondeau) sammelte und Kompositionsversuche unternahm, so Budday. Die ersten Sonatensätze (Oktober 1762) oder Sinfonieversuche (August 1764) zeigen dann bereits Einflüsse von Johann Christian Bach oder Komponisten italienischer Herkunft.
Eine bemerkenswerte Erkenntnis dieser Studien ist die sicher zutreffende These, dass das Kind offenbar nicht angehalten wurde, dem später als Formideal des klassischen Periodenbaus propagierten viertaktigen Aufbau als kompositorischem Diktat zu folgen. Wolfgang spielte auch mit Fünfer- und Dreier-Formen, die der Vater unkorrigiert ins berühmte Notenbuch übertrug, und Budday widerspricht hier den Kollegen, die selbst Mozarts allererste Stücke in eine viertaktige Abfolge zwängen.
Matthias Roth