Valentin Silvestrov

Mozart-Augenblicke

für Violine, Violoncello und Klavier, Partitur und Stimmen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: M. P. Belaieff, Mainz
erschienen in: das Orchester 10/2024 , Seite 69

„In der jetzigen Situation der Mu­sik ist alles alt, es gibt ja nichts mehr Neues“ (Alfred Schnittke). An diesen Satz fühlt man sich unwillkürlich erinnert, wenn man sich mit Valentin Silvestrov und seiner Musik beschäftigt. Was ist heutzutage zeitgemäß, „modern“? Gibt es einen zwangsläufig fortschreitenden Prozess, der den Rückgriff auf „verbrauchte“ Stilmittel wie z. B. tonale Elemente ausschließt? Oder gilt Schnittkes These, man könne nichts Neues mehr erfinden, sehr wohl aber bereits Erfundenes neu zusammensetzen? Ersterem müsste man die Frage entgegensetzen, wie nach Jahrhunderten beständig erweiterter Strukturen bis hin zu grafischer Notation Grenzen noch weiter verschoben werden können, Letzterem, dass technischer Fortschritt per se immer wieder Mittel kreiert, die auch künstlerisch nutzbar sind. Musik, Kunst insgesamt, stellt sich heute derart vielfältig dar, dass es un­möglicher denn je erscheint, sie allgemein akzeptierten stilistischen Kriterien zu unterwerfen. Entscheidend sind allein Authentizität und Originalität.
Valentin Silvestrov, geboren 1937 in Kiew, zählt zu den bekanntesten ukrainischen Komponisten der Gegenwart. Zur Musik kam er eher spät und begann nach abgebrochenem Ingenieurstudium mit 21 Jahren seine Ausbildung an der Nationalen Musikakademie in seiner Heimatstadt. In den 60er Jahren gehörte er in der Sowjetunion zu den „jungen Wilden“, die gegen die gültige Kunstdoktrin des „sozialistischen Realismus“ rebellierten und sich der westlichen Avantgarde zuwandten, was ihm den Vorwurf „westlicher Dekadenz“ und 1970 den Ausschluss aus dem Komponistenverband einbrachte. In den 70er Jahren erfolgte der radikale Bruch. Sofia Gubaidulina weist darauf hin, dass hierbei Silvestrovs tiefe religiöse Überzeugung eine wesentliche Rolle gespielt haben mag: „Seiner Meinung nach ist alles schon da – ist alles schon geschrieben worden. Um das zu verstehen, muss man an den Allmächtigen erinnern. Alles ist schon einmal geschaffen worden, man muss nichts weiter tun, als aufmerksam dem zu lauschen, was schon da ist, und das wieder aufrufen […]. Jetzt können auch wir die Schwingungen spüren und das als Musik wahrnehmen.“ Silvestrov beschrieb seine Haltung: „Die Avantgarde setzt einem nichts als Salz vor. Versuchen Sie mal einen Haufen Salz zu essen. Andererseits ist das Salz der Avantgarde jetzt noch da – gerade noch spürbar.“
Das vorliegende Klaviertrio Mozart-Augenblicke ist Ausdruck von Silvestrovs besonderer Faszination für Mozarts Werk. Es erscheint geradezu prototypenhaft für seine, wie er es ausdrückt, „Meta-Musik“: metaphorisch, zerbrechlich, nostalgisch-wehmütig, komplett tonal, eine neoromantische Hommage an Mozart und seinen Stil, gelegentlich geradezu chopinesk romantisch verfärbt, subtiles inneres Echo längst vergangener Klangwelten, eine stille, aber eigenartig dichte Atmosphärenmusik.
Herwig Zack