Laurenz Lütteken

Mozart

Leben und Musik im Zeitalter der Aufklärung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C.H. Beck
erschienen in: das Orchester 01/2018 , Seite 63

Ein neues Buch über Mozart? Ist dazu nicht schon alles gesagt? Anfängliche Skepsis löst sich jedoch bald auf, wenn man sich in das neue Buch des Züricher Musikwissenschaftlers und Lehrstuhlinhabers Laurenz Lütteken vertieft. Der Klappentext weist die Richtung: „Eine intellektuelle Biographie“. Doch was meint hier „intellektuell“ – den schriftstellerischen Anspruch oder den behandelten Gegenstand? Kurze Antwort: Es meint beides.Sehr schnell wird deutlich, dass es sich hier um keine weitere Biografie über Wolfgang Amadé handelt, denn die einschlägigen biografischen Fakten der Vita Mozarts werden als bekannt vorausgesetzt. In sieben mehrfach gegliederte Abschnitte unterteilt der Autor seine Abhandlung: Voraussetzungen, Lebenswelten, Lebenspraxis, Horizonte, Haltungen, Inszenierungen, Wahrnehmungen. Das klingt recht abstrakt, lenkt aber die Erwartungshaltung des Lesers zielgerecht auf das Kommende: auf eine gelehrte, durch eine gewaltige Faktenmenge belegte oder zumindest indizienhaft gestützte, ausgeprägt „musikwissenschaftliche“ Darstellung.Nicht immer ist die Argumentation dabei ganz frei von spekulativen Momenten, aber gerade diese Passagen erweisen sich oft als besonders anregend. So legt Lütteken beispielsweise dar, dass neben Prag auch Weimar eine „Mozart-Stadt“ sei, was spontan verblüffen mag, aber anhand der Aufführungsserien Mozart’scher Opern unter Goethes Verantwortung belegt wird. Und seine Interpretation des Mozart-Denkmals am Schloss Tiefurt bei Weimar als eines „Don-Giovanni-Denkmals“ ist jedenfalls sehr fantasievoll und stringent.Betont wird diese wissenschaftlich-intellektuelle Ausrichtung durch einen bisweilen sperrigen, manchmal spröden Sprachstil, der es dem Leser nicht immer leicht macht. Auch zeigt sich eine Neigung des Autors zu musikwissenschaftlichem Jargon, mit erkennbarer Vorliebe zu einzelnen Vokabeln wie „Engführung“ oder „Überwölbung“. Unter Engführung ist hier, wohlgemerkt, nicht etwa der musikalische Fachterminus gemeint, sondern die Verknüpfung mehrerer allgemeiner Aspekte. Und könnte es sein, dass die doch recht spezielle Vokabel „Lemma“ allmählich zum Modewort wird (so wie seit einiger Zeit etwa „klandestin“)?
Trotz dieser wenigen sporadisch-kritischen Anmerkungen vermag das Buch durchgehend zu fesseln, regt es doch zum Überdenken hergebrachter Rezeptionsgewohnheiten an. So wendet sich Lütteken sehr entschieden gegen alle geläufigen Deutungen Mozarts als eines lümmelhaften Kaspers und porträtiert ihn stattdessen auf überzeugende Weise als einen Welt- und Bildungsbürger, der nicht nur von den aktuellen geistesgeschichtlichen Strömungen seiner Epoche geprägt worden ist, sondern der sich mit ihnen aktiv und entschieden auseinandergesetzt hat. Dabei wird die Rolle des ebenso gebildeten väterlichen Pädagogen Leopold Mozart sehr einfühlsam gewürdigt.
Arnold Werner-Jensen