Fischer, Michael / Johannes Honsig-Erlenburg / Ulrich Leisingen

Mozart – Lucio Silla

Ein frühes Meisterwerk

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Internationale Stiftung Mozarteum, Salzburg 2013
erschienen in: das Orchester 06/2014 , Seite 67

Dass sich diese Publikation über viele Seiten liest wie ein etwas umfangreich gewordenes Programmheft, kommt nicht von ungefähr. Auf Seite 223 werden denn auch alle Beteiligten der Produktion genannt, die 2013 drei bzw. vier Mal bei den Mozartwochen und bei den Festspielen in Salzburg sowie drei Mal beim Musikfest Bremen (dem Kooperationspartner) gezeigt wurde: Mozarts Oper Lucio Silla in der Inszenierung von Marshall Pynkoski und unter der musikalischen Leitung von Marc Minkowski, der ein Ensemble mit dem Startenor Rolando Vilazón sowie Les Musiciens du Louvre Grenoble dirigierte.
Aus Anlass dieser Aufführungen gab es ein interdisziplinäres Symposium unter dem Titel Mozarts Opern multiperspektivisch zu eben diesem Werk des 16-Jährigen, das 1772 in Mailand seine Uraufführung erlebte und auf ein eigens geschriebenes Libretto von Giovanni De Gamerra komponiert worden war. Diese Textvorlage vertonten später auch bedeutende Mozart-Zeitgenossen wie Pasquale Anfossi, Johann Christian Bach und Michele Mortellari.
Es ist sicher richtig, dieses „Drama per Musica“ als erstes Meisterwerk Mozarts zu betrachten, aber schon bei der Frage, ob es sich hier „noch“ oder „nicht mehr“ um eine barocke Opera Seria handele, gibt es stark
divergierende Meinungen. Sie wurden bei diesem Symposium ausgiebig erörtert, dessen Vorträge, Beiträge und Diskussionen nun hier gedruckt nachzulesen sind.
Dabei sind die „Positionen“ der Mitwirkenden Minkowski, Pynkoski, Villazón und Antoine Fontane (Bühnenbild) noch am ehesten der konkreten Aufführungssituation geschuldet, und die Beiträge zur Entstehung und Entstehungszeit, zum Librettisten, zur historischen Figur des Lucio Silla, zu den Sängern der Uraufführung oder zum Typus der Opera Seria sind noch am ehesten allgemein gehalten und gehen kaum über fundierte Programmheftbeiträge hinaus.
Interessanter sind etwa Peter Gülkes Aufsatz zu „Rousseau und die Musik“ oder Jan Assmanns Studie zu „Ombra – Die musikalische Darstellung von Todesnähe in Mozarts Lucio Silla“. Auch Manfred Hermann Schmids Überlegungen „Zur Aktualität von Text und Musik einer Opera seria als kulturgeschichtlicher Ruine“ oder Peter Rinderles „Musik und Moral in Mozarts Opern“ sprengt den Rahmen gedruckter Theaterbegleitung.
Spannend ist auch die Verfolgung des (englischsprachigen) Round-Table-Gesprächs von Ulrich Leisinger mit den Experten Karl Böhmer (Mainz), Paul Corneilson (Cambridge/USA) und Stephen Roe (London). Eine hilfreiche Konkordanz der Lucio-Silla-Vertonungen von Mozart, Bach und Anfossi im Anhang öffnet außerdem den Blick für die unterschiedlichen Arbeitsweisen eines jungen Genies im Gegensatz zu seinen
älteren Kollegen. Wer sich also mit dem Werk näher befassen will, findet hier zahlreiche Anregungen und Einsichten.
Matthias Roth