Yasutaki Inamori
Motus intervallorum
Three Studies für Violine und Klavier, Klavierauszug und Stimme
Motus intervallorum (Intervallbewegungen) nennt Yasutaki Inamori (*1978) seinen 2020 komponierten und uraufgeführten Zyklus von Stücken für Violine und Klavier. Der Untertitel „Three Studies“ verweist darauf, dass es darin – zumindest äußerlich – um Erkundungen bestimmter spieltechnischer Problemstellungen geht. Tatsächlich widmet sich jedes einzelne der drei Stücke, den Vorbildern aus der anspruchsvollen Etüden- und Capricen-Literatur entsprechend, einer individuellen Fragestellung, umkreist sie auf unterschiedliche Weise, lotet ihre Möglichkeiten aus und sucht dabei zugleich nach damit verbundenen Ausdrucksmöglichkeiten.
Dabei ist – auch dies hat Inamoris Zyklus mit der Etüden-Tradition früherer Zeiten gemeinsam – die Konzentration auf relativ wenige Ausdrucksmittel charakteristisch: Sie steht für den Versuch, aus der Beschränkung heraus ein Maximum an Varianz zu erzeugen und die zugrundeliegenden Gedanken permanent umzuwenden, zu verändern und zu entfalten. Die intervallischen Bausteine werden dabei wie unter einem Mikroskop betrachtet und zunächst auf engstem Raum präsentiert, bevor sich die Perspektive ändert und weiter auseinanderliegende Tonräume erschlossen werden. Dass sich dieser Prozess über alle drei Stücke erstreckt, macht den zyklischen Charakter von Motus intervallorum aus und spricht unbedingt für eine geschlossene Wiedergabe.
Für die Violine bedeutet dies alles zunächst einmal die Anpassung an ein generell sehr hohes Verlaufstempo und dessen Ausfüllung mit engschrittigen Intervallbewegungen durch Einbindung von Vierteltonintervallen, dann aber auch die Integration von Saitenwechseln, Arpeggien, elaborierten Grifftechniken im Übergangsfeld von Flageolett und Geräusch, komplexen Pizzicato-Techniken sowie engen und weiten Glissandi auf engem Raum, was passagenweise durch kontrolliertes Spiel mit erhöhtem bis starkem Bogendruck angereichert wird.
Demgegenüber bleibt die Klavierstimme – sieht man von gelegentlich ausgefeilteren Pedalisierungen einmal ab – eher konventionell, da die Einbeziehung erweiterter Spieltechniken im Grunde auf die Bespielung der Tastatur-Außenseite mit Fingernägeln zur Hervorbringung eines Guero-Effekts beschränkt bleibt.
Dass das Klavier dennoch nicht zweitrangig und zur bloßen Begleitung degradiert ist, ergibt sich aus seiner Funktion als eigentlicher Motor des Geschehens, denn seine fließende Ausfüllung des metrischen Gerüsts dient als Ausgangspunkt und Impulsgeber für das enge zahnradartige Ineinandergreifen beider Instrumentalparts in komplementären rhythmischen Verläufen oder in der Übereinanderschichtung rhythmisch identischer Linien. Da diese Machart weder in den Einzelstimmen noch im Zusammenspiel irgendwelchen Raum für Schwächen lässt, sondern ein Höchstmaß an Präzision bei der Wiedergabe erfordert, setzen Inamoris Studien auf jeden Fall eine professionelle Beherrschung der Instrumente voraus.
Stefan Drees