Werke von Anton Bruckner und Michael Haydn

Motets

MDR-Rundfunkchor Leipzig, Ltg. Philipp Ahmann

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Pentatone PTC 5186868
erschienen in: das Orchester 11/2021 , Seite 82

In unserer materialistischen Welt ist die Sehnsucht nach Spiritualität groß. Deshalb wirkt es gar nicht so aus der Zeit gefallen, wenn der MDR-Rundfunkchor eine CD mit A-cappella-Chorwerken Michael Haydns und Anton Bruckners veröffentlicht. Die Karrieren der beiden Komponisten verliefen im traditionellen Rahmen: Sie waren Organisten, Michael Haydn in Salzburg, Anton Bruckner am Linzer Dom. In einer Zeit, in der die weltliche Musik in den Vordergrund trat, kamen sie von der Kirchenmusik her. Ihre A-cappella-Chorwerke führen Traditionen des Komponierens weiter, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, und sind dennoch in ihrer Harmonik und Spannungsgeladenheit ausdrucksstarke Werke des 18. und 19. Jahrhunderts. Der Hörer findet hier eine aufrüttelnde Musik über Tod, Finsternis, Glaube, Gnade und Weisheit.
Philipp Ahmann und der Leipziger Chor überzeugen durch einen schattierungsreichen Klang. Es gelingen berückende musikalische „Lichtwirkungen“, die an einen Dom erinnern, der plötzlich durch das durch die Fenster hereinfallende Sonnenlicht erhellt wird. Wie im Beiheft von Markus Schwering plausibel und eingehend begründet, erscheint es sinnvoll und ohne Bruch möglich, die Musik dieser beiden Komponisten auf eine CD zu bringen, obwohl sie aus verschiedenen Stilepochen stammt. Dass sie ein gemeinsamer „Ton“ verbindet, ist zu hören und zu erleben: Beide Komponisten gestalten die Erfahrung von Transzendenz als einen dramatischen Einbruch in das menschliche Leben; beide loten entsprechend ihrer stilistischen Möglichkeiten die Grenzen klanglicher Spannungsintensität bis zum Äußersten aus, was in dieser Einspielung eindringlich dargestellt wird.
Doch bei längerem Hören entsteht der Eindruck, dass ein Letztes fehlt, um diese Musik wirklich zu einem unwiederbringlichen Erlebnis werden zu lassen, und zwar sowohl bei den Werken von Haydn als auch denen von Bruckner. Das „große“ klangliche Geschehen, also die Makroebene überzeugt; doch ihre Wirkung verflacht nach einiger Zeit, da der Mikrobereich der einzelnen Töne und Takte zu wenig durchgestaltet wird. Deshalb erscheinen manche Teile aus Haydns Kompositionen zu langsam gesungen, obwohl dies gar nicht der Fall ist; denn es „passiert“ zu wenig an Artikulation, Sprachdeklamation, an Auf- oder Abschwellen der langen Töne.
Kirchenmusik ist seit ihren Anfängen mit Sprache verbunden. Lebendiges Sprechen markiert Betonungen und Sinneinheiten; es verändert die Nuancen des Sprachrhythmus und der Sprachmelodie entsprechend dem Inhalt. Dieses enge Verhältnis zur Sprache verbindet Michael Haydn und Anton Bruckner über die Grenzen zwischen 18. und 19. Jahrhundert hinweg. Leider wird diese Traditionslinie in der Einspielung des Leipziger MDR-Rundfunkchors zu wenig herausgearbeitet. Sie ist deshalb kein exzeptionelles Hörereignis, wegen ihres selten eingespielten Repertoires aber dennoch hörenswert.
Franzpeter Messmer

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