Schönberg, Arnold
Moses und Aron
Im Begleittext zur vorliegenden Produktion plädiert Hartmut Lück dafür, Arnold Schönbergs Opus Magnum Moses und Aron als ästhetisch vollendet zu betrachten, obwohl es im strengen Sinn unfertig ist: Das vom Komponisten selbstverfasste Libretto umfasst drei Akte, vertont wurden jedoch nur die Akte 1 und 2. Fast zwanzig Jahre lebte Schönberg noch nach Abschluss des zweiten Aktes (1932), doch fand er keinen Weg, über Moses resignativen Seufzer O Wort, du Wort, das mir fehlt hinaus die Arbeit an der Oper fortzusetzen. Sie trägt in mehrfacher Hinsicht Bekenntnischarakter: zum einen als das bei Weitem umfangreichste Werk, dessen Struktur aus einer einzigen Zwölftonreihe gewonnen wurde, zum anderen als Zeugnis von Schönbergs intensivem Nachdenken über religiös-philosophische Fragen. Das zentrale Problem wie kann der Geist fassen, was unvorstellbar ist? hat Schönberg in vielen Zusammenhängen beschäftigt, in Moses und Aron jedoch wird aus der Reflexion Drama.
Dass das Werk ungeachtet Schönbergs ursprünglicher oratorischer Konzeption packende Theatralik in sich birgt, macht die neue Referenzaufnahme unter der Leitung von Sylvain Cambreling deutlich hörbar.
Unser Lob beginnt beim Aufnahmeteam, dem es bei allen vier Live-Mitschnitten, die der Produktion zu Grunde liegen (Berlin, Luzern, Freiburg, Straßburg), gelungen ist, ein Optimum an Klangregie zu realisieren. Wir hören die Protagonisten und weitere Solisten förmlich am Bühnenrand agieren, wir vernehmen die zahlreichen Chorgruppen in der großen Szene um das Goldene Kalb entsprechend Schönbergs Regieanweisungen als Teile eines Hör-Raum-Dramas. Die EuropaChorAkademie (einstudiert von Joshard Daus und Sylvain Cambreling) leistet Großartiges. Nichts geht unter, selbst dort nicht, wo schnelle Tempi, polyfone Schichtungen und das Nebeneinander von konventioneller und der Schönberg-typischen Sprechgesang-Notierung große Herausforderungen darstellen.
Nicht weniger Anerkennung verdient das exzellente SWR Sinfonieorchester, das ein enormes Spektrum von größter Kraftentfaltung bis hin zu kammermusikalischer Transparenz abrufen kann. Acht sehr gute Gesangssolisten sind zu hören, wobei das Booklet zwar nicht deren Namen verschweigt, leider aber im Unklaren lässt, wer das Junge Mädchen, wer die Kranke, wer den Nackten Jüngling oder den Priester singt. Last but not least gilt unsere Bewunderung den Protagonisten: Andreas Conrad, bereits in der Produktion der Ruhrtriennale 2009 als Aron gefeiert, singt die mörderische Partie ebenso klangschön wie ausdrucksstark. Franz Grundheber, einer der Wozzecks vergangener Jahrzehnte und nicht nur in dieser Partie eine Klasse für sich , gestaltet die Sprechpartie mit beklemmender Intensität und zugleich großer Präzision in der Umsetzung der Schönbergschen Spezialnotation.
Unter den nicht allzu zahlreichen Aufnahmen des Werks dürfte diese, ungeachtet großer Namen bei den Konkurrenten, die rundum gelungenste sein.
Gerhard Anders