Alexandre Guilmant
Morceau symphonique und Morceau de lecture
für Posaune und Klavier
Das Schaffen des französischen Komponisten und Organisten Alexandre Guilmant (1837-1911) umfasst hauptsächlich Musik für Orgel oder Harmonium sowie Chormusik. Einige der wenigen Stücke ohne Orgelbeteiligung sind die beiden hier vorliegenden Kompositionen für Posaune und Klavier.
Der Komponist, welcher bereits 16-jährig als Organist in seiner nordfranzösischen Heimatstadt Boulogne-sur-Mer angestellt wurde, schrieb das hier vorliegende Morceau symponique op. 88 für Posaune und Klavier im Jahr 1902 anlässlich des jährlich stattfindenden Wettbewerbs am Pariser Conservatoire. Dessen Direktor war der Komponist Théodore Dubois, zugleich ein enger Freund Guilmants, der ihm das Stück gewidmet hat.
In Ermangelung musikalisch gehaltvoller Vortragswerke wurden am Pariser Conservatoire bis etwa 1897 fast ausschließlich Etüden oder von den Lehrern verfasste Werke bei den Abschlusswettbewerben verlangt. Nach der Berufung Alexandre Guilmants als Orgelprofessor und dem Amtsantritt des neuen Direktors Théodore Dubois (beides im Jahr 1896) wurden jedoch vermehrt Kompositionsaufträge an angesehene französische Komponisten vergeben. So sind in dieser Zeit wertvolle musikalische Repertoirestücke für Bläser von namhaften Tondichtern wie Gabriel Fauré, Paul Dukas, George Enescu oder Claude Debussy entstanden, die auch heute noch zum Standardrepertoire zählen.
Während sich das Morceau symphonique seit seiner Uraufführung als beliebtes Wettbewerbsstück etablierte, blieb das nur 27 Takte lange Morceau de lecture – technisch deutlich weniger anspruchsvoll, aber musikalisch durchaus reizvoll – weitestgehend unbeachtet. Letzteres entstand ebenfalls in Zusammenhang mit dem Wettbewerb, der zudem den Vortrag eines Prima-vista-Werks vorsah.
Auch wenn von dem Morceau symphonique op. 88 bereits einige Ausgaben verschiedener Verlage existieren, unter anderem auch wenig authentische Arrangements mit Orgelbearbeitung, hat man es sich im Hause Henle zur Aufgabe gemacht, diese Musik in ihrer Urtextfassung zu editieren. Als Vorlage diente hierzu die von Guilmant im Selbstverlag und auf eigene Kosten erstellte Erstausgabe, welche er über Kommissionsverlage vertrieb, um alle Verwertungsrechte behalten zu können.
Der Notentext in dieser Edition ist praxisorientiert auf drei ausklappbaren Seiten notiert, mit hilfreichen Stichnoten ergänzt und wie vom Komponisten vorgesehen im Tenor- und Bassschlüssel notiert. Der übersichtlich und exzellent gesetzte, hervorragend lesbare Druck wird allen Anforderungen gerecht. Sorgsam recherchiert ist das lesenswerte Vorwort des Herausgebers Dominik Rahmer, welches Hintergrundinformationen zur Entstehungsgeschichte der beiden Werke sowie Eckdaten zur Rezeption liefert. Die neue Ausgabe dieses beliebten Werks der französischen Romantik für Posaune und Klavier in Kombination mit der Erstveröffentlichung des Morceau de lecture sollte in keiner Notenbibliothek fehlen.
Kristin Thielemann