Irene Kurka
Mittendrin im Probespiel
Sinfonieorchester Wuppertal unterstützt seine Akademist:innen mit einem praxisnahen Training
Junge, gut ausgebildete Musiker:innen haben sich bis zum Ende ihres Studiums intensiv mit ihrem Instrument auseinandergesetzt und beherrschen diverse Solostücke. Was braucht es außerdem, um ein Probespiel zu bestehen – die Voraussetzung, um eine Stelle in einem Orchester zu bekommen? Die dritte oder letzte Runde scheint die größte Hürde zu sein: Die Bewerberin spielt Solo-Stellen für ihr Instrument aus der Orchesterliteratur vor. Hier hört die Jury sofort, ob die Bewerberin mit dem Orchesterspiel vertraut ist und wie sie sich ins Ensemble fügen würde. „Zahlreiche Probespiele werden an dieser Stelle abgebrochen und die Stellen bleiben leider unbesetzt“, berichtet Raimund Kunze, Orchesterdirektor des Sinfonieorchesters Wuppertal.
Um mehr jungen Musiker:innen einen guten und erfolgreichen Einstieg ins Orchester zu ermöglichen, hat Solo-Oboist Andreas Heimann 2019 die Orchesterakademie Sinfonieorchester Wuppertal e. V. mit ins Leben gerufen. Das Orchester setzt mit seiner „orchestra education“ schon jahrzehntelang einen pädagogischen Schwerpunkt. Es lag daher nahe, auch eine Möglichkeit für die Förderung und Weiterbildung von angehenden Orchestermusiker:innen zu schaffen. Der damalige Orchestervorstand fand sowohl in Julia Jones als Generalmusikdirektorin (GMD) eine Befürworterin dieser Idee als auch im damaligen Orchestermanager Benjamin Reissenberger einen engagierten Unterstützer. In enger Zusammenarbeit mit der Wuppertaler Konzertgesellschaft unter Führung von Lutz-Werner Hesse konnte die Orchesterakademie Sinfonieorchester Wuppertal gegründet werden. Strukturell erhielt sie die Form eines eingetragenen und gemeinnützigen Vereins mit Vorstand und Kuratorium.
Während der Ausbildungszeit in dem Programm „Akademie Mittendrin!“ bekommt jede Akademistin einen Mentor entsprechend ihres Instruments. Mit ihm erarbeitet und bespricht sie die anstehenden Probespiele und die geforderten Orchesterwerke-Stellen. Die Mentoren geben wertvolle und praktische Tipps zum Instrument, zum Blattspiel und zur Kommunikation. Sie bemühen sich, mögliche Defizite zu verringern und den Akademist:innen größtmögliche Sicherheit zu vermitteln.
Neu ist seit 2021, dass die Akademist:innen die Möglichkeit bekommen, ihre Probespielstellen mit dem Sinfonieorchester Wuppertal zu spielen und so die geübten Parts in die Praxis umzusetzen. Vier bis sechs Akademist:innen werden jedes Jahr aufgenommen und selbst in den Einschränkungen der Pandemiezeit war man aktiv und hat die Stipendiat:innen auf verschiedene Arten gefördert. Es besteht sogar die Möglichkeit, bei Opernaufführungen mitzuspielen. Von den bislang acht Akademist:innen, die die Akademie bereits abgeschlossen haben, haben drei eine feste Orchesterstelle und zwei weitere eine Stelle in renommierten Orchesterakademien bekommen. Der aktuelle Jahrgang lief bis in den Herbst.
„Häufig fehlt den Musiker:innen die Praxis in einem Profiorchester. Wer bereits einen Aushilfsvertrag hat, ist klar im Vorteil“, sagt Andreas Heimann. So war auch sein eigener Weg ins Profiorchester. „Heutzutage will man möglichst junge und gleichzeitig sehr erfahrene Musiker:innen im Orchester. Selbst wenn eine Musikhochschule ein solches Training mit dem Hochschul-Orchester ermöglicht, ist es nicht dasselbe, wie diese Stellen mit einem Profi-Orchester zu spielen. Die Arbeit mit Profis gibt eine ganz andere Sicherheit und Vertrauen“, erklärt Andreas Heimann.
Patrick Hahn, seit 2021 GMD in Wuppertal, unterstützt „Mittendrin“ und die Akademie mit Begeisterung und verhilft jungen Instrumentalist:innen gerne zur Erfahrung eines Probespieltrainings. Die Probespiele dirigiert er meist persönlich und gibt fachkundiges und konstruktives Feedback. Hahn sitzt zudem im Kuratorium des Vereins.
Die Flötistin Diren Duran durchläuft derzeit erfolgreich dieses einzigartige Programm. Es hat ihr bereits eine Stelle in der Orchesterakademie des WDR Sinfonieorchesters verschafft. Sie betont, durch die Akademie und ihre Mentorin Catarina Laske-Trier habe sie gelernt, ganz selbstverständlich zu spielen und sich nicht zu viele Gedanken zu machen. Auch ihr Blattspiel hat sich verbessert. Und die Mitwirkung bei Aufführungen des Orchesters verhalf ihr zu mehr Sicherheit und Souveränität. Danach, sagt sie, habe sie sich bei ihren Probespielen weitaus sicherer gefühlt. Posaunist Kaspar-Oskar Kramp berichtet, dass er von seinem Mentor Rossen Rusinov auch wichtige Hinweise zum Verhalten unter den Kolleg:innen und zur Kommunikation im Orchester bekommen habe.
Ende Mai fand das zweite Probespieltraining in Wuppertal statt: Vier Akademist:innen bekamen die Möglichkeit, 30 Minuten jeweils drei Orchesterstellen ihrer Wahl zu spielen. An diesem Abend dirigierte Andrea Sanguineti. Er gab Feedback zu Phrasierung und rhythmischer Genauigkeit. Auch forderte er die Akademist:innen auf, viel selbstbewusster aufzutreten. Selbst für Zuhörer:innen war es erstaunlich, mitzuerleben, wie sich die Stelle von Mal zu Mal verbesserte. Sie wurde solistischer und sicherer.
Einerseits bietet ein Profiorchester wie das Sinfonieorchester Wuppertal eine solide Basis, andererseits muss der Akademist oder die Akademistin aber auch lernen, in den Probespielstellen als Solist:in zu bestehen. Um die Sicherheit und besondere Herausforderungen zu trainieren, ließ Andrea Sanguineti einige Stellen auch in extremen Tempi spielen. All dies fand in einer wohlwollenden und positiven Atmosphäre statt.
Das Probespieltraining ist vergleichbar mit einem realen Aufenthalt im Flugzeugcockpit, statt nur im Flugsimulator zu fliegen. Learning by doing ist der Weg, die gelebte Praxis macht den Meister. Der Vorstand und das Kuratorium möchten das Akademieprogramm unbedingt und langfristig weiterführen, weil sie diese Art von beruflicher Förderung junger Musiker:innen für enorm wichtig halten. Die Akademist:innen bekommen hierfür ein Stipendium, weshalb der Verein finanzielle Unterstützung benötigt. Vielleicht animiert das Beispiel Wuppertal auch andere Orchester, solche speziellen Probespieltrainings in ihre Akademien aufzunehmen.