Blomstedt, Herbert

Mission Musik

Gespräche mit Julia Spinola

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel/Bärenreiter, Leipzig/ Kassel 2017
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 59

„Ich habe mich immer berufen gefühlt, das zu machen, was andere nicht machen“, sagt Herbert Blomstedt von sich. Sei es Musik, die ihm nicht liegt, anderen zu überlassen („ich kenne auch meine Grenzen“), sei es sein Einsatz für den schwedischen Komponisten Wilhelm Stenhammar. So gibt er der Musikkritikerin Julia Spinola Auskunft über sein langes Dirigentenleben, seine Jugend und seine Liebe zu Büchern. Zu seinem 90. Geburtstag am 11. Ju­­li 2017 lag nicht nur eine neue Beethoven-Gesamtaufnahme mit dem Gewandhausorchester vor, sondern auch dieses Gesprächsbuch.
Spinola hat sich dafür ein halbes Jahr lang „dem dichten Termin- und Reiseplan [Blomstedts] angepasst“, an verschiedenen Orten, die sie jeweils beschreibt, fünfzig Stunden Gespräche geführt. Sie selbst rühmt an dem Dirigenten die partiturtreue Kontrolliertheit, nennt eine strenge, adventistische Erziehung, eine hoch kontrollierte Lebensweise und einen tiefen religiösen Ethos als Hintergrund seiner musikalischen Arbeit.
Die in Kapiteln eingeteilten Gespräche beginnen schwärmerisch: zunächst über die Staatskapelle Dresden, die Blomstedt im Bakelit-Radio der Großeltern zum ersten Mal hörte („seitdem schwebte die Kapelle für mich im Himmel“); dass er viele Jahre später aber von deren Musikern bekniet werden musste, ihr Chefdirigent zu werden, weil er dafür in das Land kommen musste, „dessen Politik mir so verhasst war“. Die eigentliche Initiation, die entscheidende Wende in seiner persönlichen und künstlerischen Entwicklung, sei in den 15 Jahren in Dresden geschehen.
Ebenso hoch lobt er das Leipziger Gewandhausorchester, bei dem er Nachfolger von Kurt Masur wurde. Für diesen findet er auch offene, kritische Worte, spricht von „Drill“ und „Alleinherrscher“, setzt aber immer einen positiven Aspekt hinterher (so wie später auch bei Yehudi Menuhin: „ein völlig unfähiger Handwerker als Dirigent, […], aber ein großer Musiker und Mensch“).
Über seine vielfältigen musikalischen Erfahrungen spricht Blomstedt, der studierte Musikwissenschaftler, immer aus der Arbeit, der Praxis heraus, nie theoretisierend. Und er lässt die Autorin (und damit den Leser) über seine Schulter schauen, wenn er singend und sprechend (so beschreibt es Spinola) erläutert, wie er sich die Partitur zu Beethovens 5. Symphonie oder zu Ingvar Lidholms Poesis erarbeitet. Aus dieser Analyse ergibt sich für ihn unmittelbar die Interpretation, „der Komponist bleibt für mich immer die erste und letzte Autorität“. Und so mag er sich in der Arbeit mit den Musikern nicht als Lehrmeister oder Pultstar geben, will „das Orchester nicht mit einer fertigen Konzeption konfrontieren, sondern auf die Erfahrung der Musiker aufbauen“.
Das liest sich so spannend wie sympathisch, wird ergänzt durch kleine, uneitle Anekdoten und Herbert Blomstedts Bekenntnis: „Selbstzweifel begleiten mich immer.“
Ute Grundmann

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