Ludwig van Beethoven

Missa Solemnis

RIAS Kammerchor Berlin, Freiburger Barockorchester, Ltg. René Jacobs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Harmonia Mundi HMM902427
erschienen in: das Orchester 09/2021 , Seite 82

Neben Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe BWV 232 gehört Ludwig van Beethovens Missa solemnis op. 123 zu den größten Schöpfungen an Messvertonungen. Und auch für Beethoven selbst war das Werk, das er selbst als sein „größtes“ bezeichnete, etwas Besonderes. Davon zeugt u. a. die Tatsache, dass er auf seinem bekanntesten Porträt von Joseph Karl Stieler mit der Missa solemnis in seinen Händen verewigt wurde. Auch der Entstehungsanlass war ein besonderer: die Inthronisation des Erzherzog Rudolph von Österreich – ein enger Freund, Schüler und Gönner Beethovens – zum Erzbischof von Olmütz. Allerdings konnte Beethoven das Werk nicht pünktlich zu den vorgesehenen Feierlichkeiten vollenden.
Obwohl die Missa solemnis heute als unangefochtenes Meisterwerk gilt, sah sich das Werk seinerzeit aufgrund seiner sinfonisch geprägten Anlage mit einer ästhetisch-theologischen Problematik konfrontiert, nämlich der kontrovers geführten Diskussion um die Frage einer Vermischung von geistlicher und weltlicher Musik oder vereinfacht ausgedrückt: der Frage der Legitimität, die Kirche zum Konzertsaal oder den Konzertsaal zur Kirche zu machen – ein für das 19. Jahrhundert typisches Phänomen, mit dem sich auch noch Mendelssohn bei seiner Lobgesang-Sinfonie op. 52 konfrontiert sah. Uraufgeführt wurde die Missa solemnis am 7. April 1824 in St. Petersburg und damit weit entfernt von den Vorbehalten, welche im katholischen Wien bzw. im Habsburgerreich verbreitet waren.
Mit dem Freiburger Barockorchester unter der Leitung von René Jacobs erklingt Beethovens monumentales Werk mit einer vergleichsweise kleinen Besetzung, was einen durchaus anderen Höreindruck vermittelt, als man ihn von üblichen Aufnahmen gewohnt ist. Dies ist keinesfalls ein Nachteil. Ganz im Gegenteil: Durch die kleinere Besetzung werden viele einzelne Wendungen und Details in den Instrumentalstimmen hörbar, sodass die Werkfaktur äußerst transparent erscheint. Vor allem aber treten durch den kleineren Klangkörper die Gesangssolisten mehr in den Vordergrund.
Natürlich erfordert dieser transparente Klang von Ensemble und Solisten ein Höchstmaß an Feinsinnigkeit und Präzision. Das Freiburger Barockorchester und der RIAS Kammerchor Berlin meistern unter Jacobs’ Leitung diese Anforderungen mit Bravour und bestechen vor allem mit ihrem äußerst warmen, geradezu einfühlsamen Klangcharakter mit vielseitigen dynamischen Abstufungen und geschmackvoller Mischung der Klangfarben.
Das der CD beiliegende Booklet enthält ein umfangreiches Interview mit René Jacobs, in dem dieser sein Werkverständnis mit eingehenden analytischen Überlegungen sowie tiefgründigen Deutungsansätzen offenlegt und damit weitreichende und interessante Einblicke in seine Interpretation gibt – ein Detail, was die vorliegende Einspielung in ihrer Einzigartigkeit zusätzlich auszeichnet.
Bernd Wladika