Leopold Mozart
Missa Solemnis
Arianna Venditteli, Sophie Rennert, Patrick Grahl, Ludwig Mittelhammer, Das Vokalprojekt, Bayerische Kammerphilharmonie, Ltg. Alessandro De Marchi
Blindtest: Mit einem Triller hört die Chor-Einleitungssequenz des „Kyrie eleison“ auf, die, nur vom Continuo begleitet, nach wenigen Takten endet und an frühe Vokalpolyfonie im Generalbass-Kleid des Barocks erinnert. Dann setzt unvermittelt das Orchester mit Streichern und Bläsern ein, in fröhlichem C‑Dur, und man ahnt: Ah, Mozart-Zeit! Das „Gloria“ setzt die Missa wie üblich mit Pauken und Trompeten fort, das „Laudamus te“ ist eine lyrische Sopran-Arie mit Streichern und Hörnern. Eine wunderbare Musik, die einem völlig vertraut scheint und die man dennoch auch mit viel Hörerfahrung im Gepäck nicht konkret zuordnen kann. Selbst langgediente Musiker oder Musiklehrer kapitulieren im Blindtest bei der Frage: Wer hat das komponiert? Seltsam. Warum kennt man ein solches Werk nicht? Auch der weitere Verlauf zeigt, es muss sich um einen Komponisten handeln, der in der Musikgeschichte bewandert war, der die Werke Händels und auch Bachs („Cruzifixus“) kannte – selbst jene, die schätzungsweise in der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht zum gängigen Repertoire gehörten so wie heute. Und seine vermutlichen Zeitgenossen Haydn und Mozart kannte er aus dem Effeff. Das Werk stellt weder an den Chor noch an das klassisch besetzte Orchester außerordentliche Anforderungen, die vier Vokalsolisten sowie die solistisch hervortretenden Instrumentalisten sollten, wie bei dieser brillanten Aufnahme zu hören, koloraturen- bzw. verzierungsgewandt sein. Man fragt sich, warum wohl ein solches Stück von ca. 50 Minuten Aufführungsdauer so unbekannt geblieben ist. Irgendwelche außermusikalischen Umstände rückten den Schöpfer offenbar in die zweite oder dritte Reihe, denn an der Musik selbst kann es nicht gelegen haben. Es handelt sich, um den Rätselbogen nicht zu überspannen, um die Missa Solemnis von Leopold Mozart, die „Das Vokalprojekt“ und die Bayerische Kammerphilharmonie unter Allessandro de Marchi nun auf CD einspielten. Endlich, möchte man ausrufen, denn dieses Werk, bei Carus verlegt, harrt der Aufführungen. Es ist vor 1764 entstanden und zeigt den Kirchenkomponisten von einer erstaunlich routinierten, aber genauso einfallsreichen Seite. Wolfgang Amadés Vater, als Schöpfer von Instrumentalwerken bekannt und als Autor einer einflussreichen Violinschule hochgeschätzt, ist als Kirchenmusiker reichlich unterrepräsentiert. Diese ausgezeichnete Neuaufnahme sollte dazu beitragen, Chöre zu ermutigen, sich dieser Musik wieder anzunehmen. Leider gibt das Booklet zur CD keine Hinweise auf Entstehung und Besonderheiten der Komposition, was ein echtes Manko dieser Produktion darstellt.
Matthias Roth