Christoph Rheineck
Missa solemnis
in c-Moll für SOli, Chor und Orchester, Erstdruck, hg. von Bernd-H. Becher, Partitur
Ein Gastwirt aus Memmingen als Komponist eines gewichtigen geistlichen Musikstücks, einer Missa solemnis. Kann es das geben? Ja, das gibt es – und die betreffende feierliche Messe liegt nun endlich auch gedruckt vor.
Entstanden ist das Werk schon im 18. Jahrhundert. Sein Schöpfer Christoph Rheineck aus Memmingen, das heute zum bayerischen Regierungsbezirk Schwaben gehört, hatte früh Musikunterricht. Später wirkte er in Frankreich, wo er unter anderem Singspiele komponierte. Nach dem Tod des Vaters kehrte er aber in seine Heimat zurück und erwarb das Gasthaus „Zum weißen Ochsen“. Er war trotz seines handfesten Berufs als Musiker bekannt und geschätzt – so von Vanhal und Clementi, die ihn besuchten, und von Emanuel Schickaneder, dem Librettisten von Mozarts Zauberflöte, mit dem er gut bekannt war. Christian Friedrich Daniel Schubart kannte ihn auch gut und zählte Rheineck zu den „größten musikalischen Dilettanten Deutschlands“.
Bernd-H. Becher, der Herausgeber des vorliegenden Bandes, skizziert im Vorwort kurz die Biografie Rheinecks, sagt zur Messe aber nur, dass sie „vermutlich für das Memminger Kreuzherrenkloster“ komponiert worden sei. Die Wiederentdeckung verdankt sich Martin Gremminger und seiner Familie sowie dem katholischen Kirchenchor Rheineck, die die Quellen zur Verfügung gestellt haben. In seiner Heimat war Christoph Rheineck also nicht vollständig vergessen.
Die gut lesbare und praxistaugliche Edition fördert ein sehr interessantes und verblüffend originelles Werk zu Tage, das den Messtext gewichtig in Töne setzt. Die Spieldauer liegt immerhin bei rund einer Stunde. Der Chor ist vorwiegend homofon gesetzt, polyfone Partien sind eher rar (und auch im „Osanna“ nur kurz), dafür sind die ausgedehnten Solopartien sehr virtuos und koloraturenreich. Sie erscheinen oft wie Arien mit chorischen Einschüben, so beim Tenor im „Et incarnatus est“. Eine regelrechte Arie für Bass, die so auch in einer Oper der Zeit stehen könnte, ist das „Benedictus“. Apart ist zudem das Fagott-Solo im „Crucifixus“.
Auffällig sind auch die zarten Anklänge an Mozart. Im „Gloria“ pfeifen die Spatzen in schnellen Vorschlägen ganz ähnlich wie in Mozarts berühmter „Spatzenmesse“ – und im „Qui tollis“ erinnert der Anfang ein bisschen an Mozarts c-Moll-Klavierkonzert KV 491. Rheineck beginnt in c-Moll, schreibt die Dur-Teile dann mal in C-Dur, mal in Es-Dur.
Es gibt in diesem mit Oboen, Fagotten, Hörnern, Trompeten, Pauken und Streichern (mit Bratschen) reich instrumentierten Werk viel zu entdecken und zu bestaunen, bis hin zu dem sehr ausgedehnten „Dona nobis pacem“ mit seinen auffälligen Moll-Abschnitten. Es ist deshalb sehr erfreulich, dass diese Komposition nun in einem ansehnlichen Druck greifbar ist und hoffentlich immer mal wieder musiziert werden wird.
Karl Georg Berg