Anton Bruckner

Missa Solemnis

Johanna Winkel (Sopran), Sophie Harmsen (Mezzosopran), Sebastian Kohlhepp (Tenor), Ludwig Mittelhammer (Bariton), RIAS Kammerchor, Akademie für Alte Musik Berlin, Ltg. Łukasz Borowicz

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Accentus Music ACC 30439
erschienen in: das Orchester 10/2018 , Seite 70

Anton Bruckner und eine Akademie für Alte Musik – geht denn das zusammen? Ein Blick in das hervorragend gemachte Booklet dieser neuen CD des Labels Accentus Music belehrt: Es geht nicht nur, es muss sogar. Der lesenswerten Einführung von Benjamin-Gunnar Cohrs ist nämlich zu entnehmen, dass Bruckners Missa Solemnis, gemessen an der Übermacht der Sinfonien des reifen Komponisten, als Frühwerk zu gelten hat.
Bruckner schrieb diese Missa als 30-Jähriger für die nur etwa 20 Sängerknaben „seines“ Stifts St. Florian. Platz auf der Empore für ein großes Orchester bot die Stiftskirche nicht, sodass sich mit dem Fund des Streichermaterials (2-2-1-1-1) bezeichnenderweise eine durchaus kleine Besetzung nachweisen lässt. Vor diesem Hintergrund ist die Akademie für Alte Musik Berlin mit der Besetzung 6-6-4-4-2 und doppelten Bläsern noch opulent vertreten. Vokalsolisten und RIAS Kammerchor fügen sich indes in das immer schlanke und geschmeidige instrumentale Klangbild so gut ein, dass die CD vom ersten bis zum letzten Ton eine helle Freude ist.
Die Verantwortlichen sind aber bei ihrem historisch fundierten Konzept sogar noch weitergegangen: Ein Quellenfund belegt, dass bei der Uraufführung von Bruckners Missa Solemnis am 14. September 1854 drei Propriumsvertonungen von Robert Führer, Joseph Eybler und Johann Baptist Gänsbacher erklangen, die Dirigent Borowicz elegant zwischen die Messteile der CD einfügt. So kann man gut erahnen, welche zeitlichen Dimensionen festliche Messen in der Mitte des 19. Jahrhunderts besaßen und welch starker Musikakzent bei feierlich-kirchlichen Amtshandlungen offensichtlich Tradition war.
Stilistisch bewegt sich Anton Bruckner in seinen Anfangsjahren noch ganz im Banne von Wolfgang Amadeus Mozart. So weisen die anfänglichen Sätze der Missa Solemnis deutliche Anklänge an dessen „Krönungsmesse“ auf. Erst beim Agnus Dei wird es dann so richtig „romantisch“.
Ergänzt wird die CD durch zwei kurze instrumentalbegleitete Chorwerke – ein Magnificat sowie ein Tantum ergo – aus der Feder des ebenfalls jungen Anton Bruckner; Kleinode, die für Kirchenmusikpraktiker interessant sein könnten, deren Repertoirewert aber wohl eher bescheiden bleiben wird.
Dass der RIAS Kammerchor auf höchstem Niveau, in tadelloser Intonation und mit wunderbar weichem Klang musiziert, ist keine Überraschung. Die kongenialen Instrumentalpartner der Akademie für Alte Musik stehen ihm da in nichts nach. Und die vier jungen Stimmen des Vokalquartetts singen solistisch ohne das Eitelkeitsgebaren von Solisten: Sie fügen sich, gleichsam wie Vokal-Concertisten aus dem Chor-Ripieno hervortretend, in den samtenen Klang ein. Insofern hat Dirigent Łukasz Borowicz – intuitiv oder wissend – den Geist der Alten Musik dann doch beschworen.
Thomas Krämer