Arvo Pärt

Miserere

Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Œnm.Œsterreichisches Ensemble fuer Neue Musik, Ltg. Howard Arman

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR Klassik 900527
erschienen in: das Orchester 09/2021 , Seite 86

Eine lange Erfolgsgeschichte verbindet den Chor des Bayerischen Rundfunks und den estnischen Komponisten Arvo Pärt (*1935). Begonnen hat sie mit der Uraufführung von Passio in einem Musica-Viva Konzert (1982), setzte sich nach Magnificat und Te Deum (2001) mit immer kürzeren Aufführungsintervallen fort bis L’abbé Agathon, Adam’s Lament und Wallfahrtslied zum 80. Geburtstag Pärts 2015 sowie der deutschen Erstaufführung des berückenden, auf der CD zu hörenden Satzes Ja ma kuulsin hääle (2019).
Anstelle eines physisch projektierten Konzerts veranstaltete man zu Pärts 85. Geburtstag mit dem Münchner Rundfunkorchester und dem Œsterreichischen Ensemble fuer Neue Musik eine akustisch digitale Hommage. Das mit der Intervention Dies irae und dem Epilog Rex tremendae insgesamt 21-sätzige Miserere ist ein Mitschnitt von den Salzburger Festspielen 2019, die Aufnahmen der A-cappella Stücke entstanden im Studio.
Die im Herkulessaal eingespielte Sequentia für Violine, Schlagzeug und Streichorchester in der Fassung von 2019 und der Fast-Klassiker Festina lente für Streichorchester und Harfe sind dazu die traumverlorenen und trotz klarer Struktur filigran wirkenden Intermezzi. Beim Hören der CD merkt man nicht, dass infolge der Hygienekonzepte Frauen und Männer des Chors in beträchtlicher Entfernung voneinander standen. Sollte die superbe Tontechnik einen synthetischen Verdichtungsschub beigetragen haben, geschah dieser mit einer an Selbstverleugnung grenzenden Bescheidenheit.
Pärts Kompositionen sind ohne Intonationskompetenzen aller Mitwirkenden kaum realisierbar. Doch besteht damit das Risiko einer zu klangverliebten, zu opulenten und zu schönheitstrunkenen Sanglichkeit. Dem begegnet Howard Arman mit den herausragenden Stimmen durch zwei Gestaltungsprinzipien. Bei harmonischen Reibungen wie im A cappella-Stück Tribute to Caesar nimmt er die Verbindungen besonders schlank und schärft mit der damit gewonnenen Transparenz die Aufmerksamkeit. Überdies hält er sein hochkarätiges Vokalensemble zur besonders genauen Beachtung der Pausen und der nie zu lang gehaltenen Notenwerte an.
Die exponierten und nicht namentlich ausgewiesenen Soli im fast 40-minütigen Miserere zeichnen sich durch souveräne Intonationsreinheit aus und stellen dabei nie die homogene Gesamtbalance in Frage. So erscheinen diese Einspielungen wie im goldenen Schnitt zwischen Aufmerksamkeit für das Detail, dem für Pärts Kompositionen unerlässlich großen Bogen und eine von spirituellem Druck erfreulich weit entfernte performative Unaufgeregtheit. Pärt dürfte sich über die ihn vor falscher Theatralik beschützende Geburtstagsgabe sehr gefreut haben. Eine solche hätte etwa im Versus V des Miserere eintreten können mit seinen absteigende Vokallinien und Paukeneinwürfen. Zum Glück sind die kontemplativen Momente in der Überzahl, auch weil Pärts manchmal mitteleuropäischen Volksmusik-Idiomen nahekommende Kompositionen nur wenige Tutti-Stellen beinhalten.
Roland Dippel