Cristóbal, Raquel
Misa
für gemischten Chor (SATB) a cappella, Chorpartitur
Es ist nicht verwunderlich, dass Raquel Cristóbals Misa 2002 im internationalen Chorwettbewerb Ciudad de la Laguna auf Teneriffa mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Die aus Spanien stammende Komponistin (geb. 1973) erhielt ihre kompositorische Ausbildung unter anderem bei Manfred Trojahn und José María Sánchez-Verdú in Düsseldorf. Von 2000 bis 2011 lebte und arbeitete sie auf Teneriffa, dann zog sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Inzwischen hat der Musikverlag Schott einige ihrer Chorkompositionen veröffentlicht, zuletzt, 15 Jahre nach ihrer Entstehung, die lateinische Messe für gemischten Chor a cappella.
Treffend ist die Charakterisierung der Misa von Seiten des Verlags als zeitgenössische Messe für Kammerchor-Konzerte. Allerdings braucht sie eine stabile Besetzung, denn der Chor wird zeitweise doppelchörig aufgeteilt. Durch weitere Aufteilung der Stimmen in beiden Chorhälften reicht die Partitur bis in die 16-Stimmigkeit; außerdem ist ein Sopran-Solo aus dem Chor verlangt. Das Werk verrät die erfahrene Chorleiterin und -komponistin; denn der durchaus wirkungs- und anspruchsvolle Klang wird durch eine wohlüberlegte Satztechnik erreicht. Dazu zählen die geschickte Mischung von dissonanten Reibungen und stabilisierenden Konsonanzen, gezielte Farbwirkungen durch Kombination von kleinen und großen Sekunden, der sukzessive Aufbau von Clustern, das Aufteilen einer Tonleiter auf verschiedene Stimmen (inklusive Lesehilfen in der Partitur) und der Einbezug der Sprechstimme in den gesungenen Kontext. Die Ökonomie der musikalischen Mittel verbindet sich mit einem deutlichen Profil der Einzelsätze.
Das doppelchörige Kyrie beruht auf einem Cluster, der sich aufsteigend erst in den Männer-, dann in den Frauenstimmen, schließlich in der Kombination entwickelt, zwischenzeitlich eine Melodie entfaltet und auf die Struktur des Anfangs zurückkehrt. Die entstehende texttragende Linie wird durch Summtöne auf hm und eine ausgeprägte Dynamik unterstützt. Das einchörige Gloria lebt einerseits von einem beschwingten 5/8-Ostinato, das sich zu melodischen Höhepunkten im 9/8-Takt aufschwingt, andererseits von ruhigen 4/4-Passagen in schrittweiser Bewegung ähnlich dem Kyrie. Dessen Summeffekte und Clusterstrukturen finden wir abgewandelt im doppelchörigen Credo; zugleich wird der Text in einer interessanten Mischung von binären und ternären Rhythmen wiedergegeben; dabei überlagern sich teilweise verschiedene Textpassagen. Im weiteren Verlauf treten frei gesprochene Passagen dazu, die sich durch mehrfache Wiederholung addieren. Im Zentrum der Botschaft steht hier blockartig der vielstimmige Akkord Ex Maria Virgine. Für das Sanctus vereinigen sich die Chorhälften wieder zu einer eindrucksvollen Anrufung in blockartigen Akkorden, die dann in einen melodisch und rhythmisch stärker bewegten Hosanna-Teil münden. Im Agnus Dei schließlich begleiten Chor 1 und 2 unisono die melodische Linie des Solo-Soprans mit einem bewegten leisen Klangteppich. Interessanterweise mündet der Satz nicht in die überlieferte Bitte Dona nobis pacem (Gib uns Frieden), sondern wiederholt dreimal das Miserere nobis (Erbarm dich unser).
Andreas Hauff