Telemann, Georg Philipp

Miriways

2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: cpo 777 752-2
erschienen in: das Orchester 09/2014 , Seite 79

26. Mai 1728: Eine aktuelle Polit-Story geht erstmals über die Bühne der Hamburger Gänsemarkt-Oper. Miriways, die hinsichtlich ihrer musikalischen Faktur italienischste Oper Telemanns, komponiert auf einen Text von Johann Samuel Müller, behandelt eine Episode aus der Geschichte Persiens: den Aufstand des Afghanenfürsten Mir Wais gegen die herrschende Schah-Dynastie. Im Jahr 1722 drangen die Aufständischen bis Isfahan vor, zwangen den Schah zum Rücktritt und übernahmen die Regierungsgeschäfte. Dem Publikum der Kaufmannsstadt Hamburg dürften die Vorgänge bekannt gewesen sein, im Hamburgischen Correspondenten waren regelmäßig Neuigkeiten aus dem Krisengebiet zu lesen. Dem Geist der Zeit gemäß enthält Müllers Libretto manch aufklärerischen Gedanken und einen konkreten Appell an die Kunst der Staatsführung: Nach dem Sieg über seine Gegner gibt Miriways ihnen unter der Führung eines neuen Fürsten – des Schah-Sohnes Suphi – ihre Selbstständigkeit zurück. In seiner letzten Arie singt er: „Lass, mein Sohn, ach, lass dir raten, nimm in allen deinen Taten die Vernunft zum Führer an. Überlege, was dein Schluss dir schaden kann, und erwäge, dass du Fürst, nicht Untertan.“
Miriways ist ein Meisterwerk musikalischer Charakterisierungskunst. Im Wechsel kraftvoller und sanfter Töne vernehmen wir die Zwiespältigkeit des Titelhelden, in komplexer Harmonik und Melodik den inneren Konflikt des Suphi: Dieser nämlich soll, der Staatsräson folgend, eine Ehe eingehen mit der verschollenen Tochter des Miriways aus einer früheren Beziehung. Suphi aber liebt Bemira, und am Ende zündet ein klassischer Theater-Coup: Über allerlei Haupt- und Nebenwege stellt sich heraus, dass Bemira und die Verlorengeglaubte ein und dieselbe Person sind. Gewiss zeigt sich auch in dieser Oper Telemanns Sinn fürs Komische – etwa in der unvermittelt abbrechenden Schlummerarie der vom Schlaf übermannten Nisibis oder in den exotisch-verschrobenen Metren des Huldigungschors der Perser –, in ihrem Grundgestus jedoch ist Miriways eine Opera seria.
2012 erlebte das Werk im Rahmen der Telemann-Tage Magdeburg seine erste Bühnenproduktion der Neuzeit. Der Livemitschnitt dieser Aufführung ist hier zu hören. Markus Volpert verleiht dem Titelhelden Noblesse und herrschaftliches Gepräge, Ulrike Hofbauer gestaltet die Rolle des Suphi sehr differenziert. Hörvergnügen bereiten außerdem Julie Martin du Theil als Bemira, Gabriele Hierdeis als Nisibis, Stefan Zenkl und Susanne Drexl als die Rivalen Murzah und Zemir, Ida Aldrian als Miriways Geliebte Samisha und Ilja Wegner in einer Nebenrolle. Die Farbigkeit der Telemann’schen Orchestrierung – von der Innigkeit der sanften Oboi d’amore und gedämpften Streicher bis zur spektakulären Virtuosität der Corni da caccia – wird plastisch zur Geltung gebracht durch das vorzügliche L’Orfeo Barockorchester unter Michi Gaigg. Ein Sonderapplaus für die Hornisten Olivier Picon und Sebastian Fischer – und posthum für Telemanns Hamburger Hornisten anno 1728!
Gerhard Anders