Werke von Schostakowitsch, Pärt und Weinberg
Michail Jurowski in Gohrisch. Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch
Evelina Dobraceva (Sopran), Marina Prudenskaya (Mezzosopran), Vsevolod Grivnov (Tenor), Staatskapelle Dresden, Ltg. Michail Jurowski
Mit diesem Festival ist der Staatskapelle Dresden ein besonderer Coup gelungen. Seit 2010 bereichern die Internationalen Schostakowitsch Tage in Gohrisch den Konzertkalender. Dabei wird nicht nur das Schaffen des russisch-sowjetischen Komponisten gepflegt, sondern zugleich dessen Erbe: Es kommen auch Werke von Komponisten zu Gehör, die direkt oder indirekt mit ihm in Verbindung stehen. Und dies am historischen Ort, denn hier, in der Sächsischen Schweiz, weilte Schostakowitsch zwei Mal, um sich auszukurieren. In Gohrisch hat er überdies 1960 sein bekanntes Streichquartett Nr. 8 op. 110 geschrieben.
So ist es nur konsequent, dass die erste CD mit Aufnahmen aus Gohrisch mit der Kammersinfonie op. 110a beginnt. Dabei handelt es sich um eine Orchestrierung des Quartetts von Rudolf Barshai. Am Pult steht Michail Jurowski, ein Gohrisch-Mitstreiter der ersten Stunde und Schostakowitsch-Kenner. Sein Vater war mit dem Meister befreundet und Jurowski erlebte Schostakowitsch schon als Kind.
Umso glaubwürdiger wirkt seine Interpretation: Das erschütternd persönliche Requiem, welches Schostakowitsch mit dem 8. Streichquartett Dresden (1960) für sich selbst komponiert hatte, wird höchst intensiv durchdrungen. Unter Jurowski schwingt stets der zeithistorische Kontext mit, und der Dirigent weiß aus eigener Erfahrung, was hier gemeint ist. Auch die zahlreichen Zitate werden klar benannt: ein vieldeutiges und zugleich eindeutiges intertextuelles Puzzle. Jurowski dirigiert auch die anderen Liveaufnahmen aus den Jahren 2010, 2012 und 2013.
Das Programm ist klug zusammengestellt. So passt die folkloristisch gefärbte Rhapsodie über moldawische Themen op. 47 Nr. 1 von Mieczyslaw Weinberg bestens zu Schostakowitschs Vokalzyklus Aus jüdischer Volkspoesie op. 79a mit Sopran, Mezzosopran und Tenor. Weinberg war ein indirekter Schüler Schostakowitschs. Für Weinberg hat sich Schostakowitsch überdies tatkräftig eingesetzt, als dieser als polnischer Jude im antijüdischen Spätstalinismus verfolgt wurde. Sowohl in Weinbergs Rhapsodie wie auch im Vokalzyklus von Schostakowitsch nimmt Jurowski die Tempi wohltuend fließend.
Überdies verzichten im Vokalzyklus auch die Solisten auf sentimentale Larmoyanz: eine stilgerechte Befreiung von Klischees. Umso wirkungsvoller werden die Dramatik und die Aussage geschärft. Unter Jurowski erklingt ein erschütterndes Mahnmal gegen jedwede Unterdrückung. Immerhin wird im Wiegenlied ein Vater besungen, der sich in Sibirien quält: in einem der vielen Straflager, die noch heute existieren.
Der Cantus in Memory of Benjamin Britten von Arvo Pärt rundet diese hörenswerte CD ab. Mit Britten verband Schostakowitsch bekanntlich eine enge Künstlerfreundschaft.
Marco Frei