Jean Louis Tulou

Méthode de Flûte

Flötenschule, Faksimile, hg. von Karl Kaiser

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Walhall
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 67

Jean Louis Tulou (1786–1865), der bereits mit zehn Jahren die Flötenklasse von Johann Georg Wunderlich am Conservatoire de Musique in Paris besuchte und von 1829 bis 1856 selbst als Professor für Flöte dort tätig war, gehört zweifellos zu den herausragenden Flötenvirtuosen des 19. Jahrhunderts. Seine Méthode de Flûte entstand im Kontext seiner jahrelangen Unterrichtstätigkeit und wurde in der zweiten Hälfte der 1840er Jahre veröffentlicht. Der vorliegende Nachdruck zeigt die deutsch-französische Fassung, die 1853 von Schott in Mainz veröffentlicht wurde.
Flötistisch gesehen war das 19. Jahrhundert bekanntlich eine sehr heterogene Zeit hinsichtlich des anzustrebenden Klangideals, der bevorzugten Spielweise und der Wahl des Instruments. Tulou lehnte die revolutionären Neuerungen im Flötenbau durch Theobald Böhm entschieden ab. Damit markiert sein Lehrwerk das Ende einer Ära. Denn Tulous Nachfolger am Pariser Conservatoire, Louis Dorus, führte 1860 die Böhmflöte am Haus ein.
Das Lehrwerk Tulous steht ganz in der Tradition der Instrumentalschulen des Pariser Conservatoire. Er beginnt seine 131 Seiten umfassende Flötenschule mit der Vermittlung der Tonerzeugung, Haltung, Artikulation, Atmung und Griffweise. Ergänzt werden diese durch einige Abbildungen und zahlreiche Notenbeispiele und Übungen. Die Texte sind typischerweise recht knapp gehalten. Sein umfangreiches Spielmaterial ist, ganz in der Tradition der französischen Lehrwerke, progressiv aufgebaut, methodisch wohl durchdacht und nahezu ausnahmslos für zwei Flöten gesetzt. Denn durch das gemeinsame Musizieren mit der Lehrkraft können die Schüler:innen von Beginn an ihre Intonation trainieren und sich im Klang und Zusammenspiel verbessern. Sein pädagogisches Feingefühl zeigt Tulou dabei nicht zuletzt in folgender Begründung für seine Zusammenstellung an melodischen Übungen: „Uebungen ohne Melodie sind im Allgemeinen ohne alles Interesse, desshalb habe ich zu solchen aus den Werken der bekanntesten Autoren geeignete Sätze gewählt, worin sich die verschiedenen Griffarten, deren Kentniss wesentlich ist, befinden. Die Schüler werden hiermit durch eine gewisse Freudigkeit zum Ueben angespornt und ihre Fortschritte desto schneller sein“ (Tulou 1853, S. 15).
Herausgegeben wurde die vorliegende, sehr gelungene Neuedition von Karl Kaiser, einem der führenden Experten im Spiel historischer Flötentypen. Das Studium dieser Ausgabe sei jedoch nicht nur denjenigen empfohlen, die sich mit dem Spiel der romantischen Mehrklappenflöte beschäftigen. Auch die Unterrichtsliteratur für die moderne Flöte kann mit Tulous Spielmaterial auf hervorragende Weise bereichert werden.
Corinna Nastoll