Bruckner, Anton

Messe Nr. 3

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Tudor 7193
erschienen in: das Orchester 12/2014 , Seite 75

Bei der Zählung der einzelnen Messvertonungen Anton Bruckners verhält es sich ähnlich wie bei seinen Symphonien. Dort gibt es bekanntlich nicht nur neun, sondern insgesamt elf Werke (von den verschiedenen Fassungen mal abgesehen). Bei den Ordinariumsvertonungen, wozu auch das Requiem gehört, sind es keinesfalls nur drei, was die offizielle Zählung suggeriert, sondern immerhin etwa ein rundes Dutzend, lässt man die früheren Fragmente und die verschollenen Messteile zu. Vorliegende Messe f-Moll WAB 28 aus dem Jahr 1867/68 ist jedoch die letzte, zugleich die bedeutendste und längste ihrer Art, welche Bruckner vollendete. Ein später geplantes Requiem in d-Moll kommt über eine Skizze des Beginns nicht hinaus.
Der mit liturgischen Werken noch nicht hervorgetretene junge Dirigent Robin Ticciati spielte im April des vergangenen Jahres in der Konzerthalle Bamberg Bruckners sinfonisch geprägte Messe ein. Er hatte nicht nur das renommierte Orchester der Bamberger Symphoniker unter seiner Hand, sondern auch den Chor des Bayerischen Rundfunks. Als Solisten traten auf: Hanna-Elisabeth Müller (Sopran), Anke Vondung (Alt), Dominik Wortig (Tenor) und Franz-Josef Selig (Bass), Garanten also für eine exzellente Einspielung.
Für das Kyrie wählte Ticciati trotz des vorgeschriebenen Moderato ein langsames Tempo, tastete sich vorsichtig heran. Zudem bleibt er texttreu beim gewählten Tempo, auch im zweiten Kyrie, als Bruckner in bewährter Manier das musikalische Material verdichtet. An dieser Stelle (T. 104 ff.) fühlte sich beispielsweise einst Eugen Jochum dazu animiert, auch das Tempo wesentlich zu steigern und für eine dramatische Zuspitzung zu sorgen, auf die Ticciati verzichtete. Auch der Chor singt eher zurückhaltend, im Gegensatz dazu treten die beiden Soli – wenn auch der Sopran mit einer Überdosis Vibrato – mehr in den Vordergrund. Als Kontrast zum bedächtigen Kyrie wirkt das Gloria anfangs gehetzt, Chor und Orchester harmonieren später besser. Merkwürdig aber, dass, wie bei anderen Aufnahmen auch, bei Buchstabe K der Gloria-Fuge die Überschrift „Ziemlich langsam“ nicht zu gelten scheint und Ticciati das Tempo ziemlich anzieht.
Klanglich agiert der Chor aufgrund der Aufnahmetechnik wie im echten Konzertsaal im Hintergrund, das Orchester sowie die einzelnen Soloeinsätze sind dadurch sehr gut zu hören und verschmelzen bestens mit den Stimmen. Dadurch wirkt die Aufnahme transparent und plastisch, also nicht so chordominant wie bei älteren Aufnahmen. Stimmlich sehr schön herausgearbeitet ist das „Et incarnatus est“ – das Herz der Messe mit den verschiedenen Soli –, wie überhaupt das Credo dynamisch fein abgestuft daherkommt. Das Sanctus leuchtet überirdisch zart, im Benedictus geben insbesondere die homogen aufeinander abgestimmten Solisten ihr Bestes. Die Aufnahme gewinnt im Laufe der Aufführung an Tiefe, durchdringt die Bruckner’sche Idee nach innigster Religiosität nachhaltig. Die letzten Teilen (Benedictus und Agnus Dei) wirken durchdachter als die ersten Abschnitte.
Werner Bodendorff