Bach, Johann Sebastian
Messe h-Moll BWV 232
Die vorliegende Aufnahme von Bachs h-Moll-Messe ist aus besonderem Anlass entstanden. Der Gewandhauskapellmeister Herbert Blomstedt beendete 2005 nach sieben Jahren seine Leipziger Tätigkeit und das hier dokumentierte Konzert war einer der bilanzierenden Schlusspunkte seiner musikalischen Aktivitäten. Demnach liegt hier der Mitschnitt eines singulären Konzerts vor; die moderne Aufnahmetechnik ermöglicht das nachträgliche Miterleben eines konzertanten Höhepunkts.
Natürlich stellt sich die Frage: Wen interessiert eigentlich der Mitschnitt eines einzelnen, wenn auch gewiss gelungenen Konzerts außer jene, die mit dabei waren? Nichts nämlich an diesem Dokument ist spektakulär oder ungewöhnlich weder fällt die musikalische Darbietung aus dem Rahmen noch bietet der visuelle Anteil der Aufzeichnung Besonderheiten, noch sind die Mitwirkenden außergewöhnlich berühmt.
Zum Bildanteil: Wir blicken in die Leipziger Thomaskirche, die Kamera zeigt uns die Totale mit gelegentlich unschön stürzenden Linien, wir sehen das Publikum und auch manches Detail des historisch so bedeutungsschweren Gebäudes. Wir können den Dirigenten bei seiner völlig uneitlen und äußerst konzentrierten Berufsausübung beobachten und uns dabei ein wenig durch sein sehr ausgeprägtes Vorausdirigieren irritieren lassen. Wir sehen, wie üblich, einzelne Musiker und Chorsänger oder auch kleinere und größere Gruppen, wie sie streichen, blasen und singen oder am Orgelpositiv die Tasten drücken mehr und vor allem andere Dinge kann man ja auch kaum zeigen, wenn eine Messe auf der Empore einer Kirche aufgeführt wird. Einer analytischen Durchdringung von Bachs komplexer Partitur allerdings kommen wir auf diesem Weg kaum näher wollte man polemisieren, dann müsste man feststellen: Hier ist wieder einmal auf ganz konventionelle Weise Musik abgefilmt worden oder positiv: Man hat eben ein einmaliges Ereignis dokumentiert, so gut es unter diesen Umständen geht.
So ist zu konstatieren: Bei aller hohen technischen Qualität derartiger DVD-Produktionen ist der Beitrag der visuellen Komponente am Gesamtergebnis letztlich sekundär und eigentlich entbehrlich. Eine CD-Produktion hätte es mit Sicherheit auch und vielleicht besser getan. Möglicherweise würde man ohne die Ablenkung durch das Auge manche gelungene Einzelheit dieser Aufführung sogar direkter erleben und würdigen können. Denn es wird auf durchweg hohem Niveau musiziert: Alle Solisten als Quartett homogen und stilsicher , der bestens von Morten Schuldt-Jensen vorbereitete Chor und das ausgeglichen besetzte Orchester vermögen zu überzeugen. Stilistisch meidet man Experimente, alle Phrasierungen, alle dynamischen Abstufungen sind durchdacht und überzeugend einstudiert, Erfahrungen der historischen Aufführungspraxis (kaum Streicher-Vibrato!) werden behutsam und unauffällig einbezogen. Ingesamt ergibt sich der Eindruck einer ungemein einheitlichen, dabei eher verhaltenen, bisweilen auf sympathische Weise fast scheuen, nach innen gekehrten Aufführung.
Arnold Werner-Jensen