Giuseppe Verdi

Messa da Requiem

Jessye Norman (Sopran), Agnes Baltsa (Alt), José Carreras (Tenor), Jewgenij Nesterenko (Bass), Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Riccardo

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 73

Es erstaunt, dass diese Aufnahme unter der Leitung des größten Verdi-Experten unserer Zeit nicht schon früher veröffentlicht wurde. Zwar fanden sich zuvor drei andere großartige Einspielungen des Requiems unter Riccardo Muti auf dem Markt – die älteste von 1979 mit dem Philharmonia Orchestra, die jüngste von 2010 mit dem Chicago Symphony –, aber in dem vorliegenden, wiederentdeckten Livemitschnitt von 1981 aus dem Münchner Herkulessaal, der nun anlässlich des 80. Geburtstags des Maestros aus Archiven zum Vorschein gekommen ist, vermittelt sich Verdis tönendes Gericht mit all seiner furchteinflößenden Dramatik und den zutiefst berührenden, inniglichen Fürbitten am eindringlichsten. Und das mag im Hinblick auf die damals bescheideneren Möglichkeiten analoger Technik umso mehr erstaunen.
Jedenfalls gelang es dem Tonmeister, die ungeheure Klanggewalt des Jüngsten Gerichts so unmittelbar einzufangen, dass man beim Hören der CD meinen könnte, man befände sich mitten im Saal. „Zum Fortissimo tosten – fast wie aus dem Jenseits – die auf der Empore ganz hinten rechts postierten (Extra-)Trompeten wie ein metallen gleißender Klangstrahl zurück übers Parkett aufs Podium“, erinnert sich im Booklet ein Zeitzeuge an das Tuba mirum in dieser Aufführung – und tatsächlich vermittelt sich dieser starke Raumeffekt ebenfalls in der Aufzeichnung.
Allein die allerersten Takte zum Requiem aeternam, von Muti gravitätisch langsam und spannungsreich ganz aus dem Nichts im Pianissimo angegangen, rühren stark an. Im Lacrimosa und im Offertorium kommt es zu sehr leisen atmosphärischen Momenten, in denen Muti die Zeit anzuhalten scheint. Da vermittelt sich besonders stark die energetische Verbundenheit zwischen dem Dirigenten, dem Chor und dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, mit dem der Italiener auch heute noch ebenso gern und bevorzugt zusammenarbeitet wie mit den Wiener Philharmonikern.
Ein weiterer Trumpf dieser Aufnahme ist die vorzügliche Solistenriege, angeführt von der Sopranistin Jessye Norman, die mit schwerelosen, strahlenden Spitzentönen und dem denkbar zärtlichsten Ausdruck in den leisen Momenten noch mehr gefällt als Renata Scotto in Mutis ältester Aufnahme. Auch das Tenor-Solo „Hostias et preces tibi“ im Offertorium, einer der anrührendsten Momente im ganzen Stück, hätte damals wohl kaum jemand berührender singen können als José Carreras mit seinem balsamisch-schönen Timbre. Überhaupt verbinden sich die Stimmen des Solisten-Quartetts in großer Homogenität. Der größte Prüfstein, an dem das hörbar wird, ist freilich das Agnus Dei, an dessen Beginn Sopran und Mezzosopran (Jessye Norman und Agnes Baltsa) allein und unisono auf einem weiten langen Atem die Melodie singen.
Für den 2021 verstorbenen russischen Bass Jewgenij Nesterenko wird diese Aufnahme zu einem ganz besonderen Vermächtnis.
Kirsten Liese