Milan Mihajlovic´
Memento. Orchestral Works
Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt (Oder), Ltg. Howard Griffiths
Einprägsame Themen, eindringliche Emotionen und fantasievolle Formen – Milan Mihajlović zählt zu jenen Komponisten aus Osteuropa, dem Kaukasus und den Balkanländern, die der Folklore nach wie vor Aufmerksamkeit widmen und ihr kreative Impulse abgewinnen und die so die Moderne um individuelle Facetten bereichern können. Und Mikolaj Gorecki (Sinfonie der Klagelieder), Gija Kantscheli (Vom Winde beweint) oder Wojciech Kilar (Orawa, Krzesany) haben ihn wohl zudem mental wie musikalisch inspiriert.
Schon die kontrastreichen Bagatellen für Violine, Streicher und Cembalo am Beginn dieser Werkauswahl aus den Jahren 1986 bis 2014 oder auch der luzide Gesang der Violine samt seiner ostinaten Pizzikato-Begleitung in der Elegie für Streicher sind in der jugoslawischen Volksmusik verwurzelt: Die langsamen Sätze erinnern an die alten Liedersänger und Gusla-Spieler, die schnellen lassen den dörflichen Reigentanz Kolo aufleben. Doch solche Anklänge werden auch immer wieder verfremdet: Das Cembalo agiert nicht nur als brillanter Spielpartner, sondern auch als geräuschvoller „Störenfried“. Die üppig drapierten Folklore-Intonationen besitzen strenge Strukturen, entwickelt aus Skrjabins „mystischem Akkord“, aus Messiaens zweitem Modus sowie aus minimalen motivischen Keimzellen. Und 1983 haben die Notturni für Streichquartett und Bläserquintett eine Synthese von „polnischer Schule“ und klassizistischem Stil vollzogen. Milan Mihajlović wurde am 3. Juli 1945 in der serbischen Hauptstadt Belgrad geboren, wo er das Gymnasium, die Musikschule und die Musikakademie besuchte, Klavier und Musiktheorie, Dirigieren und Komposition studierte und danach die gesamte akademische Laufbahn vom Assistenten bis zum Professor durchlief. Mit seinem umfangreichen Wissen und Können bringt sich der Künstler bis heute auf vielfältige Weise ins serbische Musikleben ein, und seine Werke – oft mit Preisen geehrt – erklingen auch in der Tonhalle Zürich, der New Yorker Carnegie Hall und der Berliner Philharmonie, in London, Sydney und Dijon. Werktitel wie Melancholie für Oboe, Streicher und Klavier oder Elegie für Streicher beschreiben einen wesentlichen Ausdrucksbereich in Mihajlovićs Schaffen, indes Fa-mi(ly) für Streicher und Klavier als spielerisch elegantes Konzertstück daherkommt, das sein Kern-Intervall obendrein im Namen trägt. Märchenhaft ferne Klänge, gärende Unruhe und dramatische Steigerungen, ein Höhepunkt, der sein Pathos selbst in Frage stellt und stattdessen in einen ergreifenden Streicherchoral und das einsame Flötensolo des Beginns mündet – das alles formt das Memento für Orchester zu einem großartigen und berührenden Tonpoem voller Reflexionen über das Leben, das Inferno und die Ewigkeit. Mit den exzellenten deutschen Ersteinspielungen dieser Werke ermöglichen das Entdecker-Label cpo und das große Engagement des Dirigenten, der sechs Solisten und des Orchesters einen beeindruckenden Einblick in das Schaffen des serbischen Komponisten Milan Mihajlović. Und das imponiert!
Eberhard Kneipel