Döhl, Friedhelm
Melancolia/Gesang der Frühe
Dürers Melencolia I gehört, wie es in der Monografie von Raymond Klibansky, Erwin Panofsky und Fritz Saxl formuliert wird, zu denjenigen Kunstwerken, die auf die Phantasie der Nachwelt eine gewaltige Macht ausgeübt zu haben scheinen. Dass dieses Bild in seiner Vielschichtigkeit, Rätselhaftigkeit und strukturellen Perfektion bis heute lebendig blieb und das magisch Unfassbare berührt, beweisen Versuche mehrerer Künstler, die sich mit Dürers Vorlage auseinandergesetzt haben.
Um eine bemerkenswerte Komposition handelt es sich bei Melancolia/ Magische Quadrate für großes Orchester mit Chor und Sopransolo (1967/68) von Friedhelm Döhl. Neben Emotionalem und Rationalem, Temperamentbezogenem und strikt Durchkomponiertem, Mathematischem, überzeugt auch der Reichtum des Musikalisch-Technischen, Klangfarblichen und Strukturellen, das traditionsbezogen und innovativ immer durch einen unverkennbaren markanten, erstaunlich reifen Stil eines jungen Künstlers geprägt ist. Die Komposition überzeugt durch organisches Wachstum, ewige Metamorphose, die sowohl die streng gestalteten Gesetze und Grenzen als auch das Bewegliche in Form, Material, Gewebe, Klang, Ton, Geräusch, Wort bestimmt. Diese Eigenschaften finden eine verständnisvolle und höchst kompetente Verwirklichung durch Edith Gabry (Sopran) sowie Kölner Rundfunkchor und Rundfunk-Sinfonie-Orchester, geleitet von Christoph von Dohnányi.
Gesang der Frühe (Dialog mit Schumann) für großes Orchester (2005/06), inspiriert durch konkrete tragische Ereignisse und Erlebnisse, weist auf genaue Ausgangspunkte und historische Quellen hin, die wiederum in vielen Schichten, Dimensionen, Verflechtungen, Entfernungen und Andeutungen sich gegenseitig reflektieren. Deutliche Verknüpfungen mit Schumann machen Gesang der Frühe keineswegs zu einer Paraphrase oder Bearbeitung. Vielmehr repräsentiert das Stück eine Art Fantasie: Romantik im weiteren Sinn, so der Komponist, von Hölderlin, Novalis, Jean Paul über Schumann, Mahler zu Rothko, Francis Bacon und Ernst Bloch. Gesang der Frühe wird überzeugend interpretiert vom Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck unter der Leitung von Roman Brogli-Sacher, der wesentlich zum Entstehen des Werks beitrug.
Die beiden live eingespielten Uraufführungen machen deutlich, dass die Stücke trotz unterschiedlicher Grundideen und kompositorischer Verfahren gewachsene Ringe eines Zyklischen darstellen, wie der Komponist sein Leben und Schaffen definiert. Der Begleittext im Booklet, verfasst von Jan Tenholter, liefert wertvolle Informationen.
Marina Lobanova