Christian Thielemann

Meine Reise zu Beethoven

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C. H. Beck,
erschienen in: das Orchester 05/2021 , Seite 74

„Auf Beethoven, denke ich, zielt alles hin, von Beethoven geht alles aus“, verkündet der Dirigent Christian Thielemann in dieser

seiner Hommage an Beethoven zu dessen 250. Geburtstag schon im Vorwort. Meine Reise zu Beethoven heißt das Buch, und Thielemanns Reise folgt darin dem imaginären Weg der neun Symphonien, mit kleinen Ausflügen auf andere Werke wie den Fidelio („ein krudes Ding irgendwo zwischen Zauberflöte und dem Fliegenden Holländer“), das Violinkonzert („das Violinkonzert“), die Streichquartette und Klaviersonaten („Ich glaube auch, dass er sich im Orchester am allerbesten ausdrücken konnte.“) und die Missa solemnis („…ein Herzensstück. Da ist der ganze Beethoven drin.“).

Daneben werden aber im Parforceritt auf diesen 260 Seiten auch Themen wie der deutsche Klang, ein bisschen Schubert, die historische Aufführungspraxis (auf ganzen drei Seiten) oder die Metronomzahlen bei Beethoven (ebenfalls drei Seiten) angerissen, es geht um Räume (zwei Seiten) oder Beethovens Taubheit.

Geschrieben wurde das Buch eigentlich von der Musikjournalistin Christine Lemke-Matwey, nach Gesprächen, die sie im Laufe von dreieinhalb Jahren mit Thielemann geführt und dann aufgezeichnet hat. Ihr ist es wohl zu danken, dass dieser wilde Ritt durch Beethovens Werk doch eine gewisse Struktur angenommen hat – wenn diese auch immer wieder durch einem jeweils anderen Thema zugehörigen Bemerkungen unterbrochen wird. Doch diese Sprunghaftigkeit ist nicht unbedingt ein Nachteil, verleiht sie dem Buch doch einen gewissen persönlichen Touch. Überhaupt wollte Thielemann hier ja kein objektives und wissenschaftliches Werk über Beethoven schaffen, sondern seine Meinung, seine Erfahrungen mit diesem Komponisten mitteilen; und das gelingt ihm (oder Lemke-Matwey) durchaus.

Sprachlich ist das nicht immer ein Genuss, wirken die kurzen Sätze doch oft sehr abgehakt. Aber gut: Auch das kann als persönliches Statement aufgefasst werden.

Inhaltlich steht Thielemann naturgemäß auf recht konservativem – manche würden gar sagen: altmodischem – Boden. Nachdem Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt oder Roger Norrington inzwischen auch mit modernen Sinfonieorchestern viele Male bewiesen haben, wie lebhaft, wie frisch dieser Komponist klingen kann, wenn man ein wenig von der monumentalen Kruste abkratzt, mit der er vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts verklebt wurde, mag das erstaunen. Aber wer kein Fan der Thielemann’schen Interpretationen ist, der dürfte dieses Buch ohnehin im Laden stehen lassen. Und gegen Widerspruch hat der Dirigent sich mit seiner persönlichen Herangehensweise von vorneherein abgesichert.

Für Freunde Thielemann’scher Produktionen jedoch, und solche, die es werden wollen, empfiehlt es sich, das Buch Symphonie für Symphonie, mit seinen Beethoven-Aufnahmen bei der Hand, zu lesen, um nachvollziehen zu können, wie er bestimmte interpretatorische Entscheidungen begründet. Selten gibt ein Musiker doch so eine detaillierte Anleitung dazu, wie seine Interpretationen zu verstehen sind: Da wird es wirklich spannend!

Andrea Braun