Thielemann, Christian

Mein Leben mit Wagner

Unter Mitwirkung von Christine Lemke-Matwey

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C.H. Beck, München 2012
erschienen in: das Orchester 03/2013 , Seite 62

An Literatur über Richard Wagner herrscht kein Mangel. Christian Thielemann ist jedoch weise genug, nicht eine beliebige weitere Biografie vorzulegen. Er konzentriert sich auf seine Erfahrungen aus der Praxis, lässt den Leser teilhaben an Ansichten und Einsichten zur Interpretation von Wagners Musikdramen und nimmt ihn mit auf eine persönliche Reise durch sein Bayreuth. Sie führt durch das Festspielhaus und zu den Menschen, die diesen Ort für ihn entscheidend prägten. Allen voran dem ehemaligen Festspielchef Wolfgang Wagner fühlte sich der Autor wie ein Sohn verbunden.
Am aufschlussreichsten sind Thielemanns Erfahrungsberichte aus dem Orchestergraben. In ihm kann sich selbst ein so erfahrener Wagner-Dirigent wie er nicht auf seine Ohren verlassen. Deshalb gibt es direkt neben dem Dirigierpult ein Telefon. Ein ungewöhnliches Foto zeigt Thielemann mit dem Taktstock in der Rechten und dem Hörer in der Linken: Er muss sich von seinem Assistenten sagen lassen, wo er zu laut ist oder ein Einsatz möglicherweise zu früh kommt.
Christian Thielemann hat dieses Buch nicht allein geschrieben. Seine Mitarbeiterin bleibt nicht als Ghostwriterin anonym, sondern präsentiert sich namentlich auf einer der ersten Seiten. Sie ist wohl auch mit verantwortlich für entbehrliche Abschnitte, die im Wortlaut weniger thielemann-spezifisch tönen, etwa eine allgemeine Abhandlung zu den Instrumenten des Wagner-Orchesters oder ein Exkurs zu Wagner und Mendelssohn.
Auch stolpert man über einige Textstellen. Über sie würde man gerne mit dem Autor diskutieren. Etwa über die Bemerkung, Georg Solti sei 1983 mit seinem Ring in Bayreuth gescheitert. Tatsächlich nahm Solti damals als erster und einziger Dirigent am legendären Graben Veränderungen vor und kehrte zu den Wiederaufnahmen in den Folgejahren nicht wieder auf den Hügel zurück. Dies hatte sehr wahrscheinlich aber andere Gründe: Solti hatte kein Glück mit seinen Sängern, sein Siegfried sagte kurz nach der Generalprobe ab, bald darauf auch noch sein Wotan. Die musikalische Einstudierung aber fand großen Anklang: “Solti knüpfte an seine beste Zeit an; er erzielte einen frischen Orchesterklang, wie Boulez ihn nie angestrebt oder erreicht hat”, schrieb etwa der renommierte Kritiker Joachim Kaiser. Etwas verwundert nimmt man auch zur Kenntnis, dass Thielemann gerne einmal mit dem Skandaluzzer Hans Neuenfels
zusammenarbeiten würde. Über diese Motivation hätte man gern mehr erfahren und gewusst, wie er dessen “Ratten-Lohengrin” beurteilt.
Im letzten Teil des Buches stellt Thielemann Wagners Musikdramen einzeln vor, darunter auch die frühen Opern Das Liebesverbot und Die Feen. Er hebt sich mit persönlichen Betrachtungen und Platten-Empfehlungen von einem durchschnittlichen Opernführer positiv ab. Wobei angemerkt sei, dass es den Bayreuther Tannhäuser mit Gwyneth Jones in Doppelrolle als Elisabeth und Venus entgegen Thielemanns Annahme durchaus im Handel gibt, sogar auf DVD.
Am kraftvollsten aber wirkt ein Kapitel, in dem Thielemann kompromisslos über sein Verhältnis zu Wagner als Musiker redet. Für Antisemitismus ist in den Noten kein Platz, sagt er schlicht und ergreifend.

Kirsten Liese