Mayr, Giovanni Simone

Medea in Corinto

2 DVDs

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: ArtHaus Musik 101578
erschienen in: das Orchester 03/2012 , Seite 81

Der Ruhm von Giovanni Simone Mayr, dem „Vater der italienischen Oper“, wie Rossini ihn liebevoll nannte, verblasste schnell. Lange wurde er nur noch als Lehrer von Bellini und Donizetti wahrgenommen. Dabei wurde der 1763 in der Nähe von Ingolstadt als Johannes Simon Mayr geborene Komponist zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf den europäischen Opernbühnen gefeiert. Auch dank der Aktivitäten der rührigen Simon Mayr Gesellschaft wurde das Interesse am vielfältigen Opernschaffen des 1845 in Bergamo Verstorbenen wiederbelebt. Ein vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzung mit seinem Opernwerk war 2010 die Inszenierung von Mayrs Medea in Corinto von Hans Neuenfels an der Bayerischen Staatsoper, die nun in einem technisch sehr gelungenen DVD-Mitschnitt vorliegt.
Die in München benutzte quellenkritische Edition der Medea war erstmals in St. Gallen 2009 vorgestellt worden, was auf einem solide klingenden CD-Mitschnitt bei Oehms Classics unter Leitung des Dirigenten David Stern dokumentiert wurde: Eine ansprechende Sängerbesetzung kann mit dem höhensicheren Tenor Lawrence Brownlee und dem etwas dramatischeren Tenor Mark Milhofer, aber auch der lyrischen Sopranistin Evelyn Pollock und dem Bass Wojtek Gierlach punkten, während Elzbieta Szmytka in der Titelrolle zu sehr zum hysterischen Outrieren neigt.
Musikalisch kann die Aufführung der Bayerischen Staatsoper mehr überzeugen. Für sie hat Anna Viebrock ein mehrstöckiges Bühnenbild entworfen, für den modischen Kostümmix durch die Jahrhunderte zeichnet Elina Schnizler verantwortlich, die Hans Neuenfels’ erneute Auseinandersetzung mit dem Medea-Stoff nach Euripides-Schauspiel und Grillparzers Goldenem Vlies optisch nachdrücklich unterstützt. Antike und Biedermeier sowie die Gegenwart des Opernkomponisten – Medea in Corinto wurde 1813 in Neapel zur Regentschaftszeit von Joseph Bonaparte zu einem umjubelten Erfolg – werden bei Neuenfels souverän gespiegelt. Die Gewalt, die die Handlung perspektivenreich kontrapunktiert, ist mehr als bloße Provokation. Auch wenn Neuenfels anfänglich mit dem Mythos der Fremden (Medea im Bast­rock) spielt, so zeigt er doch das Heutige in dieser Oper, für die Giuseppe Felice Romani das Libretto schrieb. Natürlich ist Medea ein Störfaktor, die Fremde, doch auch gegen das eigene Volk kann Creonte sich nur mit Folter und Gewalt an der Macht halten.
Dass Romani nicht nur den Verrat Giasones an Medea zum Thema macht, sondern auch das Liebes-Unglück von Egeo, der Creusa an Giasone verliert, bietet Mayr nicht nur die Gelegenheit, große Medea-Szenen der Verzweiflung, Wut und Trauer zu komponieren, die letztlich zum Kindermord hinter der Szene führen, sondern auch interessante Duette und Ensembleszenen. Ivor Bolton lässt das Bayerische Staatsorchester dramatisch-aufbrausend und farbenreich musizieren. Mit der auch unschöne Töne nicht scheuenden Nadja Michael steht eine Singdarstellerin von Format im Mittelpunkt, die um sich ein gutes Ensemble schart – Ausnahme Ramón Vargas als angerauter Giasone. Lyrische Höhenflüge biete Alek Shrader als Egeo, eine ihre Liebe ständig beschwörende Creusa ist Elena Tsallagova, Alastair Miles gibt als Creonte souverän den Bösewicht vom Dienst.
Walter Schneckenburger