Georg Anton Benda
Medea
Ein mit Musik vermischtes Melodram. Version von 1784 Katharina Thalbach (Sprecherin), Capella Aquileia, Ltg. Marcus Bosch
Wenn man heute eine Situation oder ein Verhalten als melodramatisch bezeichnet, dann ist das gewiss nicht als Kompliment zu verstehen. Im 18. Jahrhundert dagegen war das Melodram eine äußerst beliebte Gattung des Musiktheaters. Insofern liegt mit der hier vorgestellten CD ein verdienstvolles Dokument vor, das unseren Blick auf eine vergangene musikgeschichtliche Epoche zu schärfen und zu bereichern vermag. Bendas Medea war in jener Zeit ungemein erfolgreich, sogar Mozart hat sich dazu begeistert geäußert. Das Begleitheft der CD gibt hierzu hilfreiche Informationen.
Alleinstellungsmerkmal des Melodrams ist das Nebeneinander von gesprochenem (nicht gesungenem) Text und kommentierender Instrumentalmusik. Beide Parts alternieren im Regelfall oder überschneiden sich auch gelegentlich: Kurze musikalische Phrasen gehen der verbalen Aussage entweder voraus oder werden ihr nachgestellt. Die Nähe zur Programmusik ist dabei unüberhörbar, bis hin zu Gewitter- und Sturmklängen, die Beethovens Pastorale vorweg zu nehmen scheinen. Und auch die Verwandtschaft zum orchesterbegleiteten Accompagnato-Rezitativ ist recht eng. So fremd uns heute ein Melodram auch anmuten mag, melodramatische Elemente haben sich bis heute erhalten: Die Rolle der Musik im Film und auch im Hörspiel speist sich auch aus dieser Quelle.
Die vorliegende Aufnahme entstand im Nachgang zu einer Einstudierung bei den Heidenheimer Opernfestspielen. Den musikalischen Part bestreitet die Capella Aquileia, das ständige Festspielorchester unter der Leitung von Marcus Bosch. Sie ist der eigentliche Star dieses Dokuments: Ungemein flexibel und zugleich präzise wachsen hier die vielen kleinen und größeren Bausteine der Partitur zu einem weiten Spannungsbogen zusammen, auf der unaufdringlich-selbstverständlichen Basis historisch-informierter Aufführungspraxis. So wird im historischen Rückblick umweglos einsichtig, warum Benda in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein so erfolgreicher und in der Fachwelt anerkannter Komponist war.
Eher ein wenig ratlos erlebt man hingegen die Textdeklamation: Katharina Thalbach übernimmt hier, dem Brauch der Zeit entsprechend, nicht nur die Rolle der Hauptfigur Medea, sondern auch alle Nebenrollen, angefangen von ihrem treulosen Ehemann Jason bis hin zu den beiden von ihr in eifersüchtig rasender Rache ermordeten Kindern. Dabei erweisen sich Diktion und Tonfall dieser von vielen anderen Auftritten her vertrauten Schauspielerin immer mehr als penetrant und zu wenig differenziert. Unbezweifelbar ist gewiss ihr hohes persönliches Engagement für die bizarre Figur der Medea. Doch die durchweg schneidende Schärfe und die mangelnde farbliche Nuancierung ihrer Stimme überlagern und unterdrücken zu sehr die emotionalen Feinabstufungen der Textvorlage von Friedrich Wilhelm Gotter.
Kurz gefasst: Die musikalischen Passagen würde man sich gern mehrfach anhören, den sprachlichen Part dagegen eher nicht.
Arnold Werner-Jensen