Schubert, Franz / Wolfgang Amadeus Mozart
Mass in E flat major / Mass in C minor “Waisenhausmesse”
Geistliche Musik war mit Ausnahme der Messa da Requiem von Verdi nicht unbedingt ein Schwerpunkt des Dirigenten Claudio Abbado, der im Januar gestorben ist. Und doch hatte dieser im Lauf seines langjährigen Wirkens am Pult bestimmte Sakralwerke mehrfach aufgeführt. Zu diesen gehörten die nicht gerade viel gespielte frühe c-Moll-Messe KV 139 des 13-jährigen Mozart, die sogenannte Waisenhausmesse. Bereits Mitte der 1970er Jahre hatte Abbado sie mit den Wiener Philharmonikern und der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor auf Platte eingespielt.
Als Mitschnitt eines Allerheiligenkonzerts entstand rund zehn Jahre später eine Aufnahme der späten Es-Dur-Messe von Franz Schubert mit den gleichen Ensembles. Im Sommer 2012, da Abbado nach über zehnjähriger Pause wieder und letztmals bei den Salzburger Festspielen auftrat, hat der italienische Maestro beide Vertonungen des Messordinariums in einem Konzert im Haus für Mozart dirigiert diesmal mit dem Wiener Arnold Schoenberg Chor und dem von Abbado geleiteten Orchestra Mozart aus Bologna.
In den vergangenen Jahrzehnten ist bei der Wiedergabe der klassischen und frühromantischen Musik viel passiert und auch Claudio Abbados Interpretation von Mozart, Beethoven und Schubert hat sich
wesentlich gewandelt. So eindrucksvoll und packend die erwähnten historischen Wiener Aufnahmen der beiden Messen unter Abbado ohne Zweifel waren, sie blieben der Aufführungstradition mit aus der Spätromantik kommenden Idealen verpflichtet. Der besondere Klang der Wiener Philharmoniker und des Staatsopernchores taten das Ihre.
Später aber musizierte Abbado bei diesem Repertoire sozusagen historisch informiert mit kleineren Besetzungen und einem schlanken Klang, der fast ohne Vibrato auskommt. Auch waren vor allem bei Mozart die Zeitmaße sehr viel fließender geworden und die Diktion sehr viel akzentuierter und sprechender. Erhalten geblieben, ja mit den neuen alten Mitteln fast noch stärker geworden war die Innenspannung und Empfindungskraft des Musizierens von Claudio Abbado.
Das macht das Sehen und Hören dieses Festspielkonzerts, das nun geradezu den Rang eines Vermächtnisses erhalten hat, denn auch so wertvoll. Jenseits der großartigen Homogenität und Beweglichkeit des Arnold Schoenberg Chores und des instrumentalen Feinschliffs des Orchestra Mozart wird hier, geprägt von einer der großen Dirigentenpersönlichkeiten des 20. und frühen 21. Jahrhunderts, eine bewegende Innigkeit und Tiefe des Musizierens der bedeutenden Kirchenwerke spürbar, die sich auch via Medium auf den Hörer oder Betrachter überträgt.
Die hochkarätigen Solisten Roberta Invernizzi (bei Mozart), Rachel Harnisch (bei Schubert), Sara Mingardo, Javier Camarena, Paolo Fanale und Alex Esposito sind wesentliche Garanten eines besonderen Konzert-
ereignisses und -dokuments.
Karl Georg Berg