Werke von Richard Strauss und Johannes Brahms

Mariss Jansons: His Last Concert live at Carnegie Hall

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Mariss Jansons

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 05/2021 , Seite 82

„Böhm und Karajan sind gestorben, Leonard Bernsteins Tod war ein Verlust für die Menschheit.“ Mit diesen Worten wird die Sängerin Christa Ludwig zitiert. Im Blick auf die großen Dirigenten unserer Zeit gilt dieses Zitat nun ebenso für den im Dezember 2019 mit 76 Jahren verstorbenen lettischen Dirigenten Mariss Jansons. Belegt durch zahlreiche Beiträge in den traditionellen wie in den neuen Medien trauerte die Musikwelt tief und wie selten sonst über den Tod eines Jahrhundertdirigenten, dessen musikalische und menschliche Qualitäten in vielen Nachrufen emphatisch betont wurden.

Groß waren Trauer und zugleich Dankbarkeit in München, wo Jansons seit 2003 mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks prägende Zeichen gesetzt hat. Mit diesem Orchester gab er am 8. November 2019 in der New Yorker Carnegie Hall sein letztes Konzert. Der Mitschnitt liegt nun auf CD vor. Es ist ein bewegendes Tondokument – und es erinnert wieder an Bernstein, der, wie sein Kollege, schon schwerkrank sein letztes Konzert gab, das auch auf Tonträger dokumentiert ist. Das war im Sommer 1990 und – Ironie des Schicksals – keine 200 Kilometer von New York entfernt in Tanglewood, Massachusetts.

Die vier sinfonischen Zwischenspiele aus der Oper Intermezzo op. 72 von Richard Strauss und die vierte Sinfonie e-Moll op. 98 von Johannes Brahms waren das Programm auf der Tournee des Münchner Orchesters und seines Chefdirigenten, die sie auch in die Carnegie Hall führte. Hinzu kam als Zugabe Brahms’ Ungarischer Tanz Nr. 5.

Es bewegt, diese Aufnahme ihres biografischen Hintergrunds wegen zu hören. Aber beileibe nicht nur deshalb allein. Besonders bei Brahms zeigt Mariss Jansons ein letztes Mal aufs Schönste, was seine Kunst so außerordentlich machte. Er traf den geistigen Kern der von ihm dirigierten Werke und ihre tiefe existenzielle Aussage ohne jeden äußeren Aufwand und ohne jede Übertreibung in der klingenden Vergegenwärtigung des Notentextes. Die Logik seiner Deutung des Werks war auch hier phänomenal. Er brachte auch in New York Brahms’ Vierte ganz von innen heraus zur Entfaltung.

Nicht minder groß war stets die Schönheit seines Musizierens – überhaupt nicht im Sinne oberflächlichen Wohlklingens, sondern verstanden als innere Schönheit, die sich in einer erfüllten und tief erfühlten Wärme des Tons und der Empfindung ausdrückt. Und die sich zeigt in einem wundervollen Ausgleich von Innenspannung und zwingender Dynamik auf der einen und großer Ruhe und Erhabenheit auf der anderen Seite. Im zweiten Satz der Sinfonie gibt es in der Aufnahme Momente, die sich schöner nicht vorstellen lassen – und die zwingende Anlage der Passacaglia ist schlicht kongenial.

Natürlich zeigen sich die erwähnten Tugenden auch bei Strauss. Und nicht minder zeigt der Ungarische Tanz Mariss Jansons ungebrochen in seiner einzigartigen Meisterschaft. Diese CD ist ein ganz wichtiges musikhistorisches Dokument.

Karl Georg Berg