Arnold Jacobshagen
Maria Callas
Kunst und Mythos
Maria Callas kam am 2. Dezember 1923 zur Welt. Die Ausnahme-Sängerin fasziniert auch hundert Jahre nach ihrer Geburt. Aus Anlass des Jubiläums legte Eva Gesine Baur eine schillernde, psychologisierende Biografie vor. Eine andere Herangehensweise wählt hingegen Arnold Jacobshagen, Professor für Musikwissenschaft in Köln, der auf sachliche, wissenschaftlich fundierte Quellenkritik setzt. Sein Buch Maria Callas. Kunst und Mythos überzeugt auch deshalb, weil dem Mythos um die Diva assoluta geradlinige Unvoreingenommenheit gut bekommt.
Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert. Es beginnt mit biografischen Kapiteln über Persönliches und Karriere: von der New Yorker Kindheit über die Gesangsausbildung in Athen und die ersten Karriereschritte während des Zweiten Weltkriegs bis hin zu den großen Erfolgen und der Beziehung mit Aristoteles Onassis. Jacobshagen vermittelt das Bild einer starken Frau, die genau wusste, was sie konnte und wollte.
Dabei bleibt die Quellenlage herausfordernd: Dokumente über Maria Callas gibt es massenhaft; Briefe von ihr sind hingegen rar und im Privatbesitz verstreut. Arnold Jacobshagen lässt die vielen Legenden und Gerüchte, die sich um Callas ranken, links liegen. Er ordnet altbekannte Quellen ein, etwa den von einer schwierigen Beziehung zeugenden Briefwechsel mit der Mutter; neue Quellen werden geprüft und bewertet. Gleichwohl erweist sich der biografische Teil als der schwächste des Buchs, die akribisch detaillierte Chronologie der Geschehnisse wirkt irgendwann trocken und langatmig.
Doch später läuft Jacobshagen zur Hochform auf. Im Abschnitt „Kunst“ schildert er differenziert und zugleich allgemeinverständlich die einzigartigen stimmlichen und darstellerischen Qualitäten von Maria Callas, widmet sich ihren Bühnenrollen und Plattenaufnahmen.
Im letzten Teil „Mythos“ rückt die Callas-Rezeption in den Vordergrund. Hier wird nicht geschwärmt und dem Hype um die Person aufgesessen, sondern Jacobshagen berichtet und analysiert sorgfältig.
Umso glaubwürdiger wirkt seine Bewertung der künstlerischen Leistungen der Ausnahme-Sängerin. Maria Callas habe auf der Bühne eine „veritable Revolution“ und eine „Belcanto-Renaissance“ entfesselt, schreibt der Autor. Sie sorgte für einen Repertoirewechsel auf der Opernbühne und einen Paradigmenwechsel in der Gesangsästhetik, was Jacobshagen salopp als „Belcanto turn“ zusammenfasst. Um ihre Einzigartigkeit zu begreifen, dürfe man Callas nicht nur mit anderen Opernsängerinnen vergleichen, sondern müsse sie als „singuläres Stimmphänomen“ in Verbindung mit Künstler:innen wie Ella Fitzgerald, Aretha Franklin oder Freddie Mercury bringen. Großes Lob für diese fundierte, wohltuend sachliche Annäherung an das Phänomen Maria Callas.
Antje Rößler