Sabine Fröhlich

Margarete Dessoff (1874 -1944)

Chordirigentin auf dem Weg in die Moderne

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wolke
erschienen in: das Orchester 11/2020 , Seite 61

Irgendetwas Grundlegendes muss passiert sein zu Beginn des 20. Jahrhunderts. So wurde für ein Berliner Kammerkonzert im Juni 1919 eine damals aufstrebende Frau als Chordirigentin angekündigt, ihr Name: Margarete Dessoff. Noch sieben Jahre zuvor, auf dem Brahmsfest 1912 in Wiesbaden, hieß es dagegen im Programm zur gleichen Person: Fräulein Gretchen Dessoff. Wie entlarvend solche sprachlichen „Petitessen“ sein können, zeigt Sabine Fröhlich in ihrem gut gemachten Buch.
Dabei ist Fröhlichs spannend geschriebene Biografie letztlich die Geschichte einer Frau, die durch ihr Können und ihr Standvermögen gegen die Jahrhunderte alte Unterdrückung und Ausgrenzung der Frau in der Musik „an-lebte“. Fröhlichs Darstellungen überzeugen vor allem deshalb, weil die Autorin ohne ideologischen Zeigefinger vorgeht und sich ganz akkurat an die recht spärliche Quellenlage hält.
Margarete Dessoff, 1874 als Tochter des Operndirigenten Felix Otto Dessoff in Wien geboren, war musikalisch begabt, musste aber das Los eines schlechten Berufsstarts erleiden: ein methodisch verkorkster Gesangsunterricht am Konservatorium zerstörte ihre Stimme. Später gewann Dessoff diese zurück, eröffnete eine Gesangsschule und bildete mit ihren Schülerinnen erste Ensembles. Diese wurden schließlich zum „Dessoff’schen Frauenchor“ vereint, einem Ensemble, das einmal über 100 Sängerinnen zählen sollte. Dessoff mischte das traditionelle Frankfurter Musikleben mit diesem Chor auf, hatte Riesenerfolge mit außergewöhnlichen Programmen und war auch musik-politisch nicht untätig.
1923 ging sie nach New York an die heutige Juilliard School of Music und gründete erneut „Dessoff Choirs“, die noch heute – fast 100 Jahre später – existieren. Dessoffs dortiger Erfolg lässt sich allein daran messen, dass ihr im Jahr 1930 eine vielumjubelte Darbietung von Arnold Schönbergs Friede auf Erden gelang, in der Acappella-Version übrigens, gleichsam ein Ritterschlag für ihren Chor. Übliche Zwistigkeiten am Juilliard-Institut sowie Krankheiten und ein schwerer Autounfall führten dazu, dass Margarete Dessoff 1936 nach Wien zurückkehrte und dann 1938 als Halbjüdin gezwungen war, in die Schweiz umzusiedeln. Dort verstarb sie 1944.
Sabine Fröhlichs Ausführungen sind wissenschaftlich gründlich recherchiert sowie durch eine hohe Zahl an Quellen belegt. Dennoch liest sich ihr Buch so flüssig wie der Roman über eine Frau, deren Berufsleben als Musikerin zwei Weltkriege umfasste, die jedoch beharrlich an ihrem Ziel festhielt, durch professionelle Arbeit und hochkarätige Konzertprogramme ihren Platz im Musikleben zu finden. Begriffe wie Quotenregelung, Gleichstellungsbeauftragte oder Genderstudien waren zu Margarete Dessoffs Zeiten noch unbekannt. Sie musste als Frau ihren Weg in der Musik auch so gehen. Daher sei Sabine Fröhlichs Buch gerade auch Männern zum Lesen empfohlen, denn das Phänomen des Vorbilds ist nun mal geschlechterneutral.
Thomas Krämer