Pécou, Thierry

Manoa

pour flûte basse, clarinette basse et violoncelle

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 03/2014 , Seite 75

Noch bevor man Thierry Pécous Partitur seines Manoa betitelten Trios aus dem Jahr 2006 aufschlägt, ist intuitiv klar, dass die Besetzung aus Bassflöte, Bassklarinette und Violoncello treffsicher gewählt ist. Von Ferne erinnert sie an Stücke von Heitor Villa-Lobos, und wenn es um die Auswahl geeigneter Instrumente zur Darstellung von Urwald, großen Strömen und alten, versunkenen Kulturen ginge, stünden zumindest die beiden exotischen Blasinstrumente ganz oben auf dem Besetzungszettel.
Manoa ist ein Name für das sagenumwobene El Dorado, das trotz vielfacher Suche und unterschiedlicher Verortung auf dem südamerikanischen Kontinent stets Legende geblieben ist. Der 1965 geborene französische Komponist Thierry Pécou erweckt diese Legende in seinem Trio mit Gesang und Tanz zum Leben. Dabei setzt er auf Techniken, die auch viele andere seiner in unterschiedlichsten Besetzungen konzipierten Werke prägen: glitzernde, hochdynamische Unisono-Passagen, die durchaus stark unterschiedlich klingende Blas-, Streich- und Tasteninstrumente vereinen; chromatische Bewegungen, die Aufgrund ihrer Geschwindigkeit und der vornehmlich verwendeten kleinen Intervallschritte schon fast mikrotonale Züge tragen; und Spielanweisungen, die sehr stark auf die klangliche Auffächerung und auf farbige Darstellung zielen. Hinzu kommen aleatorisch geprägte oder auch an synthetische Musik erinnernde Passagen.
Die beiden ansonsten außerhalb der Neuen Musik eher selten einmal anzutreffenden Instrumente Bassflöte und Bassklarinette spannen in Manoa zusammen mit dem „klassischen“ Violoncello einen charakteristischen und enorm ausgreifenden Tonraum auf. Und da Thierry Pécou die Möglichkeiten der drei Protagonisten zielsicher zu nutzen weiß, gelingt ihm hier ein vielschichtiges Amazonas-Panorama, das in zehn Minuten den Tanz alter indianischer Kulturen beschwört. Originalkolorit steuert dabei ein Lied aus dem Orinoco-Gebiet bei, das der Komponist als Quelle der Bewegung vor allem in den Holzbläserstimmen nutzt.
Um die gewünschten, fein differenzierten Klangwirkungen dieses Trios zu erzielen, setzt Pécou auf eine souveräne technische Beherrschung aller drei Instrumente. Ohne ein gewisses Maß an Virtuosität lässt sich Manoa nicht überzeugend darstellen – das bezieht die fast komplette Ausschöpfung des verfügbaren Tonraums der Bassflöte ebenso mit ein wie die Nutzung der perkussiven Eigenschaften des Cellos. Ein Tanz- und Musiktheater in kleiner Besetzung kann man dieses Trio nennen – oder ein Hörspiel, das von längst versunkenen Kulturen und alten Maya-Reichen berichtet. Der selbst vielgereiste Thierry Pécou ist bei diesem Ausflug in die Welt der Legenden ein versierter, beredter Reiseleiter.
Daniel Knödler