Dieter David Scholz

Mannheim: Musikalisch überwältigend

Das Nationaltheater Mannheim präsentierte Wagners „Tristan und Isolde“

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 45

Das Grundproblem aller heutigen Wagneraufführungen ist die sängerische Besetzung. Wagners Ideal – und er hat sich dazu unmissverständlich geäußert – war so etwas wie ein „vaterländischer Belcanto“. Nichtsdestotrotz herrscht heute in den meisten Aufführungen „Wagnersche Liebesbrüllerei“ (Hugo von Hofmannsthal) vor.
Auch bei der neuesten Inszenierung von Tristan und Isolde am Nationaltheater Mannheim durfte man sich davon wieder einmal überzeugen. Sowohl Frank van Aken (Tristan) als auch Allison Oakes (Isolde) schrien und stemmten sich stimmlich unschön durch die gewiss anspruchsvollen Partien. Von Belcanto oder zumindest Legatogesang keine Spur. Julia Faylenbogen (Brangäne) hat zumindest die Warngesänge im zweiten Akt überzeugend vorgetragen. Lediglich der junge Bassist Patrick Zielke hat als König Marke „gesungen“: wortverständlich, klug phrasiert, differenziert gestaltet, gesanglich kultiviert und daher sehr anrührend. Er war der stimmliche Lichtblick der Aufführung und der Einzige, der dem sensationellen Tristan-Debüt des Dirigenten Alexander Soddy gerecht wurde. Dieser hat in außerordentlicher Intensität, Präzision und Klangsinnlichkeit eine Tristan-Musik vorgeführt, die Wagners Behauptung beglaubigte, vollständig gute Aufführungen „müssen die Leute verrückt machen“, wie er im April 1859 an Mathilde Wesendonck schrieb. Die „Geburt des Dramas aus dem Geiste der Musik“ wurde unter seiner Stabführung ein Ereignis, eine dramatische, kraftvolle, sinnliche wie transparente und luzide Lesart des „Opus metaphysicum“ (Friedrich Nietzsche), die überwältigte.
Leider kann man dies von der immer an der Grenze zum Kitsch rangierenden Inszenierung der jungen Hamburger Regisseurin Luise Kautz nicht sagen. Sie hat in ziemlicher Hilflosigkeit der Personenführung eine Inszenierung hingelegt, die befremdete, ja verärgerte ob ihrer
Klischeehaftigkeit, Konventionalität und Geschmacklosigkeit. Dabei war man beim Ansehen ihrer realistischen Bühnenbilder (Lani Tran-Duc) im Programmheft zunächst positiv voreingenommen. Endlich einmal keine Trash-Inszenierung! Was man dann aber auf der Bühne erlebte, machte sprachlos.

 

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