Robert Maschka

Manfred Trojahns Musik

Ein Werkführer

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 62

Das große Los, von vielen Kunstschaffenden ersehnt, den wenigsten vergönnt, schon gar nicht zu Lebzeiten: eine Monografie in eigener Sache. Dem Komponisten Manfred Trojahn fiel sie nun zu. Und dies auch noch in Gestalt eines Führers durch sein bisheriges Lebenswerk. Ob dergleichen überhaupt schon jemals vorkam?
Robert Maschka, Opernfreunden als Mitautor von Who’s who in der Oper und dem Handbuch der Oper bestens vertraut, bürgt für Verlässlichkeit in der Sache und eine gewandte, anschauliche Darstellungsweise. Um der Eigenart der Musik Trojahns möglichst nahe zu kommen, wählte er die Form eines Werkführers. Dieser bietet dreierlei Vorteil: Erstens verlangt er keine Lektüre von vorn bis hinten, lässt sich durchaus kapitel- oder gar (im Wortsinne) stückweise befragen. Zweitens verdeutlicht schon ein Blick ins Inhaltsverzeichnis: Trojahn ist nicht nur das „Theatertier“, als welches ihn ein breiteres Publikum bislang wahrnahm – seine Schaffenswelt führt vom tönenden Figurentheater und Melodram zu Sinfonien, Solokonzerten, Orchesterstücken und Kammermusik, von Sologesängen mit Orchester oder kleineren Ensembles, A-cappella-Chören und geistlichen Konzertformen (Requiem, Libera me, Magnifi-cat) bis zum Klavierlieder-Zyklus.
Drittens spiegelt die netzartige Form des Handbuchs die Beziehungsfäden, die Trojahns Stücke vielfach verbinden. Maschka vergleicht sie treffend mit dem unterirdischen Geflecht der Pilze. Wie diesem geschwisterliche Individuen entsprießen, so nehmen Trohjans Stücke oftmals zumindest subkutan Klangmomente eigener oder fremder Herkunft auf. Sie haften im Humus europäischer Musikkultur. Aufmerksamen Ohren vermitteln sie immer wieder „Déjà-entendu-Erlebnisse“. Auch schöpfen sie gern aus dem Fundus deutscher, französischer und italienischer Dichtung, weshalb Maschka Trohjans „Hauptdichtern“ (Georg Trakl, Michelangelo, Tankred Dorst, René Char) ein eigenes Kapitel einräumt.
Bei der Betrachtung der einzelnen Werke kam es dem Autor darauf an, Möglichkeiten des Mitdenkens und Mitfühlens aufzuzeigen: Anregungen zu eingehenderer Beschäftigung mit Trojahns Schaf-fenswelt. Indem ihr „ein feiner Zug von Ungeordnetheit“ innewohne, setze sie einer Systematisierung – wie sie ein Werkführer verlangt – gewisse Grenzen.
Entsprechend seiner (von den Medien herbeigeredeten) Geltung als Musikdramatiker erhellt das Eingangskapitel Trojahns Bühnen-schaffen – von seinem Erstling, der Komödie Enrico (1991), über die „sturmpoetische Shakespeare-Anverwandlung“ Was ihr wollt (1998), das sketchartige Triptychon Limonen aus Sizilien (2003/05), das „surreale Zeitexperiment“ La grande magia (2008) bis zur Mythos-Neudeutung Orest (2011). Den Abschluss bildet das letzthin entstandene Monodram Ein Brief auf Hofmannsthals sprachkritischen Brief des Lord Chandos, dem die Worte im Munde zerfielen „wie modrige Pilze“.
Die den ertragreichen Gattungskapiteln angefügte Chronik dokumentiert Trojahns künstlerischen Werdegang en détail.
Lutz Lesle