Werke von Jean Sibelius und Edvard Grieg
Malinconia
Works for cello & piano, Geringas (Violoncello), Ian Fountain (Klavier)
Sie gehört zu den Urbefindlichkeiten des menschlichen Gemüts, bereits in der Antike rechnete man sie den Vier Temperamenten zu. Seit den Tagen des Hippokrates haben sich Mediziner und Philosophen mit dem Phänomen des Trübsinns und der Depression beschäftigt und diese Erscheinung der schwarzen Galle (Melancholia) zugeordnet. Dass Melancholie gar zur Triebfeder des Paktierens mit dem Teufel werden kann, hat Goethe im Faust thematisiert. Künstler des 19. Jahrhunderts schließlich fanden Ausdrucksformen zur Darstellung melancholischer Zustände. Ein berühmtes Beispiel ist der mit Malinconia überschriebene Finalsatz aus Beethovens Streichquartett op. 18,6.
Denselben Titel trägt Jean Sibelius einzige umfangreichere Cellokomposition. Sie entstand 1900, der Komponist verarbeitet hier seine Trauer über den Tod einer seiner Töchter. Angesichts der unbehauenen Gestalt des Stücks ist man versucht, Nietzsches Brahms-Bonmot von der Melancholie des Unvermögens zu bemühen, gibt sich Sibelius Malinconia doch als seltsam heterogene Kombination aus ellenlangen Klavierarpeggien und einer teils düsteren, teils heroischen Cellokantilene. Auch der beabsichtigte sinnstiftende Mottoeffekt zur vorliegenden CD bleibt begrenzt, denn deren Hauptgegenstand ist eine Gesamtaufnahme der Cellowerke von Edvard Grieg.
Weder die abschließende Adaption von Sibelius Valse triste noch der hemdsärmelig geschriebene Booklet-Text (der, na klar, die langen skandinavischen Winter als Brutstätten der Trübsal ausmacht) sollten uns allzu melancholisch stimmen, denn zu hören ist viel schöne, exzellent gespielte Musik: Der litauische Cellist David Geringas, als Solist, Kammermusiker und Pädagoge gleichermaßen gerühmt, hat mitgewirkt an der Urtextausgabe der Grieg-Cellowerke des Henle-Verlags und präsentiert hier Griegs Sonate sowie weitere Stücke im Duo mit dem ausgezeichneten englischen Pianisten Ian Fountain.
Was mag Grieg bewogen haben, sich im Nachhinein reserviert über seine Cellosonate zu äußern? Dargeboten vom Duo Geringas-Fountain bereitet sie ungetrübtes Hörvergnügen. Beide Musiker stellen sich ganz in den Dienst starker Kontraste: Dem brodelnden, von schumannesker Unruhe durchzogenen Kopfsatz folgen ein breit ausgesungenes Andante sowie ein folkloristisch inspirierter Springtanz. Cello und Klavier kommen vollgriffig zum Zuge, doch gelingt dem Duo stets die perfekte Balance: Nie wird das Streichinstrument vom Partner zugedeckt.
Neben Petitessen einem Intermezzo von 1866, dem Letzten Frühling op. 34,2 sowie der Bearbeitung eines Satzes aus der Violinsonate op. 45, die Grieg seinem cellospielenden Bruder zueignete enthält die CD drei veritable Hits aus der Peer-Gynt-Musik. Wer hier Ladenhüter wittert, wird schnell eines Besseren belehrt: Geringas und Fountain spielen Morgenstimmung, Anitras Tanz und Solveigs Lied mit solcher Delikatesse, dass man glauben könnte, die sattsam bekannten Melodien noch nie vernommen zu haben.
Gerhard Anders