Milica Djordjević
Mali svitac,… für Orchester/Quicksilver für Orchester/Čvor für Bläser, Klavier, Schlagzeug/Mit o ptici für Chor und Orchester
Chor des Bayerischen Rundfunks, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Johannes Kalitzke, Duncan Ward, Peter Rundel
Als Kind wollte Milica Djordjević Malerin werden. Später entschied sie sich für die Musik, wo sie mit der großen Klangpalette der Neuen Musik emotional packende akustische Geschichten erzählt und Hörbilder komponiert, die Duncan Ward, Peter Rundel und Johannes Kalitzke mit dem Chor und dem Symphonieorchesters des Bayrischen Rundfunks sowie eine exzellente Aufnahmeregie differenziert gestalten.
Sehr feingliedrig oszillieren in Djordjevićs Orchesterstück Mali svitac, žestoko ozaren i prestravljen nesonošljivom lepotom (auf Deutsch: „Kleines Glühwürmchen, grell beleuchtet oder erschrocken von unerträglicher Schönheit“) sirrende Streicher sowie Holz- und Blechbläser wie die leuchtenden Insekten vor einem Gebüsch. Harsche Schläge und dramatische Tutti erinnern gegen Ende an bedrohliche Filmmusik: eine akustische Mahnung für eine vom Aussterben bedrohte Art.
Explizit politische Musik sei nicht ihr Anliegen, betont Djordjević in Interviews. Ihr gehe es um Klänge, mit denen sie ihre Hörer:innen emotional erreichen will. „[Meine] Musik ist sehr körperlich, ist sehr aufgeladen… Sie ist sehr intim und sehr ehrlich. Wenn es im Besucher etwas bewirkt, dann ist es gelungen“, erklärte sie im Frühjahr 2024 (Interview mit Hannah Schmid, WDR).
Dieser Umgang mit Gefühlszuständen prägt das 19-minütige Quicksilver. Drei jeweils im Abstand von einem Viertelton versetzte Streichergruppen flirren, als breite sich das giftige Metall auf dem Fußboden aus. Die tiefe Fraktion des Orchesters setzt mit rumsenden Tonballen einen Gegenpol. In einem zweiten Teil schaffen alarmierende Blechbläser, hämmernde Pauken sowie dunkel rumorende und hell schwirrende Orchestergruppen erneut eine bedrohliche Stimmung.
Čvor (Knoten) ist mit einer Dauer von rund sieben Minuten um einiges kürzer und prägnanter. Bald schon löst sich die aus einer Fülle von Klangmustern für Klavier, Schlagzeug, Holz- und Blechbläsern verknotete Struktur auf. Im Gegensatz zu dieser optimistischen Lösung findet das einzige für Chor und Orchester geschriebene Mit o ptici kein beruhigendes Ende. Das 23-minütige Werk fußt auf der Parabel des Dichters Miroslav Antić über einen aus Sand geformten Vogel, der in die Lüfte aufsteigt und als bösartiges Monster zurückkehrt. Als Symbol für die Erschaffung fiepen die Saiten und die Blechbläser schieben leise Luft durch ihre Instrumente. In dieses zarte Beginnen mengt der Chor mit den ersten Zeilen aus Antićs Text Unruhe. Über Dissonanzen verabschieden sich Vogel und Schöpfer. Zum Schluss verdeutlichen an Sakralmusik erinnernde Chorklänge, dass der mörderische Vogel nicht mehr zu vernichten ist: das dystopische Ende einer Utopie. Und irgendwie doch eine politische Aussage.
Werner Stiefele