Jacques Offenbach
Maître Péronilla
Véronique Gens, Éric Huchet, Antoinette Dennefeld, Chantal Santon- Jeffery, Anaïs Constans, Tassis Christoyannis, Choeur de Radio France, Orchestre National de France, Ltg. Markus Poschner
Manoëla, die Tochter des spanischen Schokoladenfabrikanten Maïtre Péronilla, soll den doppelt so alten und etwas vergesslichen Don Guardona heiraten. Sie möchte aber lieber den jungen und charmanten Musiklehrer Alvarès ehelichen. Dank einer Intrige von Péronillas Schwester Léona schafft sie das am Ende auch – unter anderem weil dieser ursprünglich Anwalt ist, denn auf Französisch bedeutet „Maître“ sowohl „Meister“ (in diesem Fall der Schokoladenherstellung) als auch „Rechtsanwalt“. Das ist die Handlung von Maître Péronilla, das war 1878 eine der letzten Operetten von Jacques Offenbach. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 hatte er es schwerer, denn an die Stelle des Zweiten Kaiserreichs als Zielscheibe seiner Satire war die Dritte Republik getreten und als gebürtiger Deutscher und Jude wurde er als Sündenbock für die Niederlage Frankreichs gesehen. Noch dazu waren seine Leibund-Magen-Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy zu seinem neuen Konkurrenten Charles Lecocq übergelaufen. Offenbach machte aus der Not eine Tugend und nahm ein eigenes Libretto, das er wohl schon vor 1870 in der Schublade gehabt hatte. Nur für die Versifikation der Gesangs-Nummern wandte er sich an das Librettisten- Duo Charles Nuitter und Paul Ferrier. Das spanische Kolorit war damals der Renner im französischen Musiktheater, Offenbach selbst hatte vor allem in La Périchole (1868/74) und Les brigands (1869/78) damit reüssiert. Nach nur fünfzig Vorstellungen wurde Maître Péronilla damals abgesetzt – vielleicht auch wegen des Titels, der deutlich biederer wirkt als der ursprünglich vorgesehene Les deux maris de Manoëla. Bislang gab es nur eine unvollständige Einspielung des französischen Rundfunks von 1970, also vor jetzt fünfzig Jahren.
Diese neue Doppel-CD mit der ersten vollständigen Aufnahme entstand 2019 zu Offenbachs 200. Geburtstag. Sie beweist, dass es sich hier um eines der geistvollsten Werke des Meisters handelt – fast so frech wie seine frivolste Operette La vie parisienne und fast so tiefsinnig-treffsicher wie seine letzte und bekannteste Oper Les contes d’Hoffmann, an der er damals schon arbeitete. 16 erstklassig artikulierende Menschen teilen sich die nicht weniger als 26 Gesangs- und Sprechrollen, allen voran die Star-Sopranistin Véronique Gens als Léona. Der deutsche Dirigent Markus Poschner lässt in dieser durch und durch französischen Einspielung das Feuer und den Esprit der Partitur kongenial aufscheinen, auch in den dezent charakterisierenden Orchesterfarben. Selbst Offenbachs notorisch holprige Prosodie kann hier überzeugen.
Ingo Hoddick