Kramer, Ursula / Plaus Pietschmann (Hg.)

Mainz und sein Orchester

Stationen einer 500-jährigen Geschichte

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Are Edition, Mainz 2014
erschienen in: das Orchester 09/2015 , Seite 67

Als das Philharmonische Staatsorchester in Mainz im Jahr 2014 sein Jubiläum „500 Jahre für Mainz“ beging, war dies eine bewusst recht offen gehaltene Formulierung. Angestellte Hoftrompeter am fürsterzbischöflichen Hof zu Mainz sind nämlich ab dem Jahr 1514 nachweisbar, das heutige Philharmonische Staatsorchester indessen geht erst auf die Gründung des Städtischen Orchesters 1876 zurück. Der gemeinsamen Initiative des Staatsorchesters und des Instituts für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft an der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität sind eine Ausstellung im Stadthistorischen Museum, ein Symposium zur Orchestergeschichte im Herbst 2014 und die hier besprochene Publikation zu verdanken.
Schnell wird beim Lesen deutlich, dass die Überlieferung von 500 Jahren Mainzer Orchesterkultur über weite Strecken verstreut und lückenhaft ist und die Forschung Pionierarbeit: Dass Notenmaterialien aus der Frühzeit der Hofkapelle in Upsala lagern, geht auf die schwedische Besatzung 1631 bis 1636 zurück. Als im Zuge der Französischen Revolution Mainz von den Franzosen besetzt wurde, wich der Kurfürst und Erzbischof ins rechtsrheinische, heute bayerische Aschaffenburg aus – mit der Folge, dass wichtige Akten im Staatsarchiv in Würzburg aufgespürt werden mussten. Nach dem Wiener Kongress kam Mainz zum Großherzogtum Hessen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstand das heutige Land Rheinland-Pfalz, das 2006 das Mainzer Orchester im Zuge der umstrittenenen Orchesterstrukturreform in einen Landesbetrieb umwandelte. Diese jüngere Geschichte blieb beim Symposium allerdings ausgespart.
Vieles, was Klaus Pietschmann, Rashid-S. Pegah, Austin Glatthorn und Erich Staab in ihren Beiträgen über die ersten Jahrhunderte zusammentrugen, dokumentiert die notwendige archivalische Kleinarbeit und liest sich für Nicht-Experten eher spröde. Doch es bildet eine wichtige Basis für weitere Forschungen und Erkenntnisse, nicht nur dank des Personenregisters, sondern auch durch einen ausführlichen Anhang auf CD, der den Opernspielplan des einstigen Nationaltheaters und biografische Daten zu Mitgliedern der Hofkapelle nach 1797 enthält. Deutlich wird durchaus, dass das 1788 gegründete Mainzer Nationaltheater kurz vor der französischen Besatzung zu den ersten Bühnen Deutschlands gehörte.
Leichter nachvollziehbar und geradezu spannend liest sich die Geschichte des Orchesters im 19. und 20. Jahrhundert. Esther Feustel nimmt die Entwicklung bis zur Gründung des Städtischen Orchesters in den Blick, Gwendolyn L. Döring die Sommerkonzerte, und Ursula Kramer beschäftigt sich mit der prägenden Ära des Kapellmeisters Emil Steinbach (1877-1910). Die Aufwärtsentwicklung des Orchesters war das Resultat mehrerer Faktoren: Neben der künstlerischen Arbeit des Orchesters, dem Bildungsinteresse des Publikums und dem Engagement von Politikern trug auch die engagierte Berichterstattung der zahlreichen Mainzer Tageszeitungen zu dieser Erfolgsgeschichte bei. Vergleichbares öffentliches Interesse genießt heute hier allenfalls der Fußballverein FSV Mainz 05. Abgerundet wird der Band durch Jürgen Windfelders und Ursula Kramers überfällige Untersuchung über Mainzer Theatermusiker im „Dritten Reich“.

Andreas Hauff