Koechlin, Charles

Magicien orchestrateur

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classics CD 93.286
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 72

Die Aktivitäten des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR in Sachen Charles Koechlin bringen immer neue, bislang wenig bekannte Aspekte des Schaffens dieses Komponisten ins Blickfeld. Insgesamt schon sieben CDs des sehr farbenreich-nuanciert musizierenden Orchesters unter Leitung von Heinz Holliger sind inzwischen bei Hänssler Classics dem 1867 geborenen Elsässer – er starb 1950 in Le Canadel – gewidmet. Zudem unterstreicht das Medienunternehmen seinen Einsatz für das Werk Koechlins mit inzwischen drei hochkarätigen Einspielungen des Klavierwerks des Komponisten durch den hervorragenden Pianisten Michael Korstick.
Die jüngste Orchesteraufnahme, darunter drei Ersteinspielungen, ist mit Magicien orchestrateur sicher nicht irreführend überschrieben, zeigt sie doch erneut die hoch gerühmten Instrumentationsfähigkeiten des Komponisten. Dass Koechlins Lehrer Gabriel Fauré große Stücke auf den jungen Musiker hielt, unterstreicht die Tatsache, dass Koechlin Faurés Bühnenmusik zu Pelléas et Mélisande für die Londoner Uraufführung instrumentieren durfte. Vorgegeben war nur die relativ kleine, kammermusikalisch ausgerichtete Orchesterbesetzung. Das SWR-Orchester unter der sehr detailgenauen Leitung von Holliger legt auf dieser CD nun erstmals die siebenteilige Konzertsuite zu dem Schauspiel inklusive des von der Sopranistin Sarah Wegener innig gestalteten “Chanson de Melisande” vor. Die ansonsten im Konzert gelegentlich zu hörende vierteilige Suite Faurés wurde von ihm für den Konzertsaal in einer eher spätromantisch dichteren Instrumentation erweitert. In Erinnerung an seine bei einem tragischen Autounfall verunglückte Schülerin Catherine Urner hat Koechlin deren Lied “Sur les flots lointains” in einer ungemein zarten Orchesterfassung vorgelegt.
Dass Claude Debussys Ballettmusik Khamma überhaupt zur Aufführung kam, verdankt sie auch Charles Koechlin. Debussy hatte größere Probleme mit der Fertigstellung der Partitur der Auftragsarbeit für die Tänzerin Maud Allan. Bis Mitte April 1912 war die Komposition dann doch abgeschlossen, wobei nur die ersten zehn Partiturseiten instrumentiert waren. Auf Betreiben des Verlags Durand übernahm Koechlin mit Zustimmung Debussys die Instrumentation der weiteren 70 Seiten der Partitur, was aber bei der Drucklegung des Werks verschwiegen wurde…
Zwei weitere Instrumentationsaufträge runden die vom SWR-Orchester ungemein differenziert – den oft solistisch geforderten Bläsern gilt ein besonderes Lob – eingespielte CD ab: Emanuel Chabriers Bourée fantasque und Franz Schuberts Wandererfantasie mit dem eher zurückhaltend agierenden Pianisten Florian Hoelscher. Während der sehr französische Tonfall der Instrumentation bei Chabrier mehr als angebracht ist, erscheint die Herangehensweise von Koechlin an Schubert weniger überzeugend. Vergleicht man Koechlins Fassung mit der auch nicht unproblematischen von Franz Liszt – im ansonsten gewohnt detailgenauen Booklettext von Otfrid Nies wird die Existenz der Liszt-Fassung nicht erwähnt –, so ist die sehr transparent gehaltene französische Sicht bei aller vom SWR-Orchester souverän umgesetzten Delikatesse eher als Kuriosum zu sehen.
Walter Schneckenburger