Maestro or Mephisto

The real Georg Solti. A film by Andy King-Dabbs

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Arthaus Musik 101 662
erschienen in: das Orchester 05/2013 , Seite 79

Es war eine starke und sehr heterogene Gruppe von Spitzendirigenten, welche die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte: der omnipräsente Ästhet Herbert von Karajan, der agile Allrounder Leonard Bernstein, der einsame Exzentriker Sergiu Celibidache, die bis heute rätselhafte Ausnahmeerscheinung Carlos Kleiber und – Georg Solti, das Energiebündel. Er war ein Dirigent, der durch und für die Musik brannte. Seine Proben glichen einem rastlosen Feuerwerk an Zwischenrufen, Abbrüchen und Vormachen; seine Gestik geriet zum Kräfte zehrenden Aufdrücken seines Interpretationswillens bis hin zur Erschöpfung. Dieser Musikerpersönlichkeit ist nun eine BBC-Dokumentation gewidmet, die dankenswerterweise als DVD in den Handel gekommen ist.
Dabei ist der Film zunächst einmal ein Lehrstück über die ebenso leid- wie wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie deren Auswirkungen auf ein unstetes Künstlerleben: Der 1912 in Ungarn geborene Jude Georg Solti wird nach Schweizer Exiljahren schon 1946 in München mit offenen Armen empfangen, wechselt nach Frankfurt, wird Deutscher, geht zur Covent Garden Opera nach London, wird Brite, prägt über 20 Jahre als Chefdirigent das Chicago Symphonie Orchestra und kehrt schließlich nach Europa zurück. Solti stirbt 1997, nicht ohne die Genugtuung, den Fall osteuropäischer Diktaturen erlebt und als Krönung seines Dirigentenlebens ein europäisches „Orchester des Friedens“ ins Leben gerufen zu haben.
„Der wahre Georg Solti“ – dieses Motto der beeindruckenden Dokumentation wird besonders genährt durch historisch einmaliges und bislang unveröffentlichtes Bildmaterial aus den Archiven der BBC. So gibt es Probenmitschnitte der legendären Studio-Einspielung von Wagners Ring mit den Wiener Philharmonikern aus den 1960er Jahren oder Filmszenen aus den 1980ern, wo man Solti als Pianist (!) mit Partner Murray Perahia in Bartóks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug erleben kann. Zahlreiche Proben- und Konzertmitschnitte aus allen Lebensphasen Soltis, Interviews mit ihm aus über 40 Jahren sowie etliche Statements von Künstlern, Produzenten und Zeitzeugen aus seinem Umfeld ergeben ein beeindruckendes Kaleidoskop einer faszinierenden Künstlerpersönlichkeit. Dabei macht den Film stark, dass er auch kritische Töne nicht ausspart, etwa wenn ein ehemaliges Mitglied der Londoner Philharmoniker sich über
den kaum nachvollziehbaren Dirigierstil Soltis beklagt.
Präzision und Feuer, Klarheit und Enthusiasmus – das waren ganz offensichtlich die Determinanten Soltis beim Umgang mit Orchester und Werk. Dazu passt auch seine Äußerung, dass die Arbeit des Dirigenten immer dem Willen des Komponisten zu folgen habe.
Die etwa einstündige DVD gibt es nur in englischer Originalsprache (auch Solti spricht englisch), dafür mit deutschen Untertiteln. Entschädigt wird man jedoch durch eine ausgezeichnete Bildqualität. Sehr empfehlenswert, diese Lehrstunde!
Thomas Krämer